Elisabeth - Libretto
ERSTER AKT
PROLOG
Die nächtliche Welt der Toten und Träumer – der Friedhof der Vergangenheit. Zerfetzte Fahnen, welke Blumen, bemooste Steine und modernde Erinnerung. Ein Erhängter baumelt an einem Seil – Luigi Lucheni, Elisabeths Attentäter.
Aus dem Nichts klingt die Stimme des Richters. Ihr antwortet Lucheni, während er sich vom Seil losschneidet und auf die Bühne springt.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Aber warum, Lucheni? Warum haben
Sie die Kaiserin Elisabeth ermordet?
LUCHENI (gesprochen):
Alla malora!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Antworten Sie, Luigi Lucheni!
Aus dem Dunkel des Vergessens treten Geister einer versunkenen Welt ins Licht der Erinnerung. In dem nach und nach entstehenden Tableau erkennen wir einige berühmte Gestalten des 19. Jahrhunderts. Sie beobachten Lucheni.
LUCHENI (gesprochen):
Warum, warum... Nacht für Nacht dieselbe Frage,
seit hundert Jahren! Was soll die Fragerei? Merda.
Ich bin tot!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Das gemeine Attentat auf die Kaiserin
von Österreich...
LUCHENI (gesprochen):
Va a farti fottere!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Nennen Sie endlich die Hintergründe!
LUCHENI (gesprochen):
Die Hintergründe? Ich habe sie ermordet, weil sie
es wollte.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Reden Sie keinen Unsinn!
LUCHENI (gesprochen):
Sie wollte es. Dafür gibt es ehrenwerte Zeugen.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Was für Zeugen sollen das sein?
LUCHENI (gesprochen):
Ihre Zeitgenossen, bitte sehr! Kommen alle nicht
zur Ruhe... und reden immer noch von... Elisabeth!
DIE TOTEN:
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblasst der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
Elisabeth, Elisabeth – selbst hier bist du von uns getrennt.
Ein Rätsel, das kein Geist errät,
ein Zeichen, das kein Mensch erkennt.
Scheu, schwach – glücklich und verflucht.
Wild, wach – einsam und begehrt.
Arm, reich – was hast du gesucht?
Hart, weich – was hat dich zerstört?
LUCHENI:
Niemand war so stolz wie sie. Sie verachtet euch.
Sie hat gelacht über euch.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Wir dem Tod geweiht...
LUCHENI:
Niemand hat sie je verstanden, nie gab sie die Freiheit
auf. Sie wollte in das Dunkel blicken.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
... Verwöhnt. Bedroht. Sie hat erseht,
was wir verfluchten. Was uns erschrak hat sie
geliebt.
ALLE TOTEN & LUCHENI:
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Die Musik bricht ab. Die Toten erstarren. Effekt. Plötzlich steht der Tod mitten unter den Gestalten. Lucheni bleibt unbeeindruckt. Er spielt den Zeremonienmeister.
LUCHENI (gesprochen):
Attenzione! Seine Majestät der Tod!
Das Thema des Todes klingt auf. Der Tod ist jung, attraktiv und erotisch. Er gleicht einer androgynen Kultfigur aus dem Pop-Bereich und erinnert an eine idealistische Darstellung des jungen Heinrich Heine. Auch der Tod denkt an die Zeit von Elisabeth zurück.
TOD:
Was hat es zu bedeuten: dies alte Lied.
Das mir seit jenen Zeiten die Brust durchglüht?
Engel nennen’s Freude, Teufel nennen’s Pein,
Menschen meinen, es muss Liebe sein.
Mein Auftrag heißt zerstören.
Ich tu es kalt.
Ich hol, die mir gehören, jung oder alt.
Weiß nicht, wie geschehn kann, was es gar nicht gibt –
Doch es stimmt: Ich habe sie geliebt.
Rhythmuswechsel. Der Tod löst die Toten durch eine Geste aus ihrer Starre. Augenblicklich beginnen sie mit den eckigen Bewegungen des Totentanzes.
Nur Lucheni bleibt unbeteiligt. Er blickt wieder über die Zuschauer in die Richtung, aus der die Stimme des Richters kommt. Das Verhör geht weiter.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Sie weichen aus, Lucheni! Liebe,
Tod... Erzählen Sie keine Märchen!
LUCHENI (gesprochen):
Aber wenn ich es ihnen sage!
Sie liebte den Tod. Und er liebte sie.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Zum letzten Mal, Lucheni: Wer waren Ihre Hintermänner?
LUCHENI (gesprochen):
Der Tod! Nur der Tod...
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Das Motiv, Lucheni!
LUCHENI (gesprochen):
Die Liebe. Un grande amore... Ha, ha, ha...!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
TOD:
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
TOD (gleichzeitig):
Elisabeth!
ALLE:
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
Blackout. Verwandlung.
1. VOR DEM SCHLOSS POSSENHOFEN
Mai 1850. Die Halle von Schloss Possenhofen am Starnberger See. Im Halbdunkel erkennt man zunächst nur die zwölfjährige Elisabeth. Es ist später Nachmittag. Als sich die Szene aufhellt, sehen wir ihren Vater Herzog Max vor einem Spiegel stehen. Er ist dabei, nach München abzureisen, wo er die Nacht mit einer Schauspielerin verbringen wird.
ELISABETH:
Mama hat heut Abend Gäste,
das wird grauenhaft!
Steife Kragen, dumme Fragen, Heuchelei.
Ach, ich wollt’, ich könnt’ mich drücken
vor dem Klatsch und dem Getu!
Doch die Gouvernante lässt es nicht zu.
Herzog Max zupft sich vor dem Spiegel den Bart. Er prüft den Sitz seiner Krawatte.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Weil es nicht geht!
ELISABETH:
Alles, was dir Spaß macht, mag ich fast noch mehr!
MAX:
In diesem Fall... Es geht nicht!
ELISABETH:
Träumen und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind.
Ich möchte mal so sein wie du.
MAX (gesprochen):
Das Leben ist zu kurz, dass man sich auch nur
eine Stunde langweilen darf. Und Familientreffen hasse ich
wie die Pest.
ELISABETH (gesprochen):
Ich auch...
(gesungen)
Warum darf ich heut nicht wieder
auf den Kirschbaum rauf?
MAX:
Sei froh, dass dir’s nicht so geht wie deiner Schwester...
ELISABETH:
Oder üben, auf dem Seil zu balancier’n.
MAX:
... Helene wird zur Kaiserin dressiert...
ELISABETH:
Oder mit den Brüdern toben
auf der Wiese hinterm Haus.
MAX:
Ich misch mich da nicht ein!
ELISABETH:
Nein, die Gouvernante lässt mich nicht raus!
MAX:
Ich kann dir da nicht helfen.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Vielleicht komm ich morgen nachmittag schon wieder...
ELISABETH:
Nach Ägypten, Spanien oder Katmandu...
MAX (sieht auf seine Taschenuhr):
... Höchste Zeit!
Herzog Max setzt den Hut auf und nimmt seine Zither unter den Arm. Er ist reisefertig.
ELISABETH:
Leben, frei wie ein Zigeuner
mit der Zither unterm Arm.
Nur tun was ich will...
Herzog Max gibt Elisabeth einen flüchtigen Kuss auf die Stirn...
MAX (gesprochen):
Adieu, Sisi...
ELISABETH:
... und woll’n, was ich tu.
MAX (gesprochen):
Sei brav...
Herzog Max geht rasch ab. Elisabeth sieht ihm nach.
ELISABETH:
Ich möchte mal so sein wie du!
Elisabeths Gouvernante tritt auf.
GOUVERNANTE (gesprochen):
Je vous en pris, princesse... Sie müssen sich umziehen...
ELISABETH (gesprochen):
Ich hasse es, mich umzuziehen.
GOUVERNANTE:
Mais, princesse...
ELISABETH (gesprochen):
Ich hasse es, Prinzessin zu sein.
Wenn ich keine Prinzessin wäre, würde ich
zum Zirkus gehen... als Kunstreiterin oder Artistin... Ich
kann jetzt auf dem Seil tanzen. Ich zeig es Ihnen...
GOUVERNANTE (gesprochen):
S’il vous plait! Venez maintenant...
Elisabeth folgt unfreiwillig der Gouvernante.
Beide ab. Verwandlung.
2. AM UFER DES STARNBERGER SEES
Drei Jahre später. Eine Gesellschaft der Herzogin Ludovika. In Gruppen treffen die Gäste ein, überwiegend Verwandte der herzoglichen Familie aus dem ländlichen und mittleren Adel Bayerns. Herzogin Ludovika, die sich für diesen Anlass besonders herausgeputzt hat, ist in die Lektüre eines Briefs vertieft. Neben ihr steht Helene, die kaum atmen kann in ihrem engen Kleid. Die ankommenden Gäste heißen einander willkommen und bilden kleine Gruppen. Herzogin Ludovika hat einen Brief erhalten, den sie aufmerksam liest. Lucheni sieht ihr über die Schulter und liest mit.
LUCHENI (gesprochen):
Elisabeths Heimat. Das ist die liebliche
Helene, Elisabeths ältere Schwester. Und das ist die stolze
Mutter Ludovika. Sie hat einen Brief aus Wien erhalten. Von ihrer
Schwester Sophie, der Mutter des Kaisers von Österreich.
Mhm. Drum musste die ganze Verwandtschaft antanzen!
LUDOVIKA:
Schön, euch alle zu sehen.
Ich möchte, dass ihr wisst:
Bald wird etwas geschehen,
das sehr bedeutsam ist.
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Was macht sie sich so wichtig?
EINE TANTE ELISABETHS:
Was spielt sie sich so auf?
LUDOVIKA:
Unsere Familie steigt empor!
ONKEL & SCHWAGER:
Wär’ da nicht Max!
LUDOVIKA:
Helene hab ich schon lange zu Hohem auserseh’n.
Seht das Mädchen euch an: Gebildet,
klug und schön.
EIN EHEPAAR:
Nicht so schön wie unsre!
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was gibt sie bloß so an?
LUDOVIKA:
Ich werd mit Helen nach Bad Ischl fahr’n!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gesprochen):
Von mir aus!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gesprochen):
Sehr bedeutsam...!
EINE ENTFERNTE VERWANDTE (gesprochen):
Ist das alles?
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Bad Ischl!?
EINE TANTE ELISABETHS (gesprochen):
Und deshalb sind wir hergekommen?
LUDOVIKA:
Dort treffen wir im August Helenes Tante Sophie.
Sie schreibt, sie möchte uns sehn.
Den Grund erratet ihr nie...
EIN ENTFERNTER VERWANDTER:
Das ist doch des Kaisers Mutter!?
EIN ONKEL ELISABETHS:
Dann ist auch der Kaiser dort!
LUDOVIKA:
Sie möchte, dass Franz Joseph sich mit Helene trifft.
(gesprochen)
Meine Helene wird Kaiserin von Österreich!
Die Gäste sind wirklich überrascht, Sie reden aufgeregt durcheinander, während Herzogin Ludovika voll Stolz ihre Helene präsentiert.
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Was!?
DAS EHEPAAR (gesprochen, gleichzeitig):
Helene? Kaiserin? Undenkbar!
SCHWAGER (gesprochen, gleichzeitig):
So ein Glück!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen, gleichzeitig):
Gratulation! Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gesprochen):
Mit dem Vater? Peinlich!
HELENE (gesprochen):
Ich und der Kaiser!? Ich kann’s noch gar nicht glauben.
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Was für Aussichten!
Eine Zirkustrompete erklingt. Mehr und mehr Gäste blicken mit erstaunten Gesichtern zum rückwärtigen Prospekt, hinter dem der Schatten der am Trapez schwingenden Elisabeth zu sehen ist.
EINE TANTE ELISABETHS (sieht zur Balustrade hinauf; gesprochen):
Was hat das zu bedeuten?
DAS EHEPAAR (gesprochen):
Das ist doch Sisi!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gesprochen, gleichzeitig):
Eine Zirkuseinlage!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gesprochen):
Das hat ihr der Vater beigebracht.
EIN GROßNKEL ELISABETHS: (gesprochen, gleichzeitig):
Eine Schande!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gesprochen):
Im Trikot!
MEHRERE VERWANDTE (gesprochen, fast gleichzeitig):
Schockierend!
EINE TANTE ELISABETHS (gesprochen):
Mein Gott, wenn sie da herunter fällt!
GOUVERNANTE (gesprochen, gleichzeitig):
Sie wird sich das Genick brechen.
Endlich wird auch Herzogin Ludovika auf den Auftritt ihrer Tochter aufmerksam...
LUDOVIKA:
Sisi! Hör auf! Sofort!
Doch Elisabeth schwingt immer höher und wilder.
HELENE (gesprochen):
Lenk sie nicht ab, sonst fällt sie!
Die Gäste halten den Atem an. In einem von ihnen erkennen wir nun den Tod. Er streckt die Hand aus nach Elisabeth, als wollte er sie zum Tanz bitten. In diesem Moment wechselt das Schwingen die Richtung, die Seile verdrehen sich, das Trapez mit Elisabeth zerreißt den Prospekt und sie stürzt ab. Ein Aufschrei geht durch die Gäste. Der Tod fängt Elisabeth auf. Die beiden drehen sich wie in Zeitlupe in einem kurzen Totentanz. Darüber fragmentarisch das Liebesthema. Der Tod legt Elisabeth in ihr Bett und tritt ein paar Schritte zurück. Schon hat er sich wieder in einen der Gäste zurückverwandelt. Benommen richtet Elisabeth sich auf. Alle erwachen aus ihrer Erstarrung und stürzen auf Elisabeth zu. Ludovika und Helene sind zuerst bei ihr.
ELISABETH:
Wohin gehst du, schwarzer Prinz?
Warum bleibst du nicht hier?
Ich hab mich in deinen Armen wohlgefühlt.
Und ich spürte eine Sehnsucht
mich von allem zu befrein.
Wie ein schwarzer Vogel
stolz und allein.
Ja, ich weiß, du bist der Tod
und alle fürchten dich.
LUDOVIKA:
Sie phantasiert...
ELISABETH:
Doch ich denk an dich,
was immer ich auch tu.
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Se redet wie ihr Vater!
ELISABETH:
Träume und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind...
GOUVERNANTE::
Sie fiebert!
ELISABETH:
Niemand versteht mich so wie du!
LUDOVIKA (gesprochen):
Ist schon gut, Sisi. Du legst dich jetzt erst mal ins Bett.
Leonard, schicken Sie nach dem Doktor!
Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth ab. Der Kammerdiener Leonard eilt davon. Die Gäste ziehen sich, den Vorfall mit gedämpften Stimmen kommentierend, zurück. Lucheni blickt von Elisabeth zu dem abgehenden Tod und schnalzt mit der Zunge. Die Szene versinkt im Dunkel.
3. AUDIENZSAAL DER HOFBURG IN WIEN
In einem Lichtspot auf der Vorderbühne Lucheni.
LUCHENI (gesprochen):
Wir schreiben das Jahr achtzehnhundertdreiundfünfzig.
In Wien regiert nun der junge Kaiser Franz Joseph.
Seine Herrschaft beruht auf einem stehenden Heer von
Soldaten, einem sitzenden Heer von Beamten, einem
knienden Heer von Priestern und einem schleichenden
Heer von Denunzianten. Und – auf den Ratschlägen seiner
Mutter, von der man sagt, sie sei der einzige Mann bei
Hofe.
Franz Joseph sitzt am Schreibtisch. Neben ihm steht seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Sie legt Franz Joseph Schriftstücke zur Unterschrift vor. Etwas abseits der kaiserliche Generaladjutant Graf Grünne, der Eisenbahnmagnat Baron Hübner und der kaiserliche Polizeiminister Baron Johann Kempen.
SOPHIE (zu Franz Joseph):
Sei streng! Sei kalt!
Sei hart! Sei stark!
SOPHIE, HOFDAME, GRÜNNE,
HÜBNER, KEMPEN (zum Publikum):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Mit einem Stab auf den Boden stoßend, kündigt Graf Grünne einen Besucher an.
GRÜNNE (gesprochen):
Der Kardinalerzbischof!
Kardinalerzbischof Rauscher tritt auf. In der Hand hält er eine Schriftmappe.
RAUSCHER:
Majestät, die heilige Kirche stößt auf Widerstand...
SOPHIE (gesprochen):
Empörend!
RAUSCHER:
Majestät, die Kirche wünscht die Schulaufsicht im Land!
Erzherzogin Sophie nimmt von Kardinalerzbischof Rauscher das Schriftstück entgegen und legt es mit einem Kopfnicken Franz Joseph vor.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt.
RAUSCHER, SOPHIE, GRÜNNE,
HÜBNER, KEMPEN, HOFDAMEN:
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Die Totentanzgruppe und Lucheni führen die Mutter eines zum Tode Verurteilten in den Audienzsaal.. Lucheni äfft den Adjutanten nach:
LUCHENI (gesprochen):
Eine Mutter!
Die Mutter des Verurteilten fällt auf die Knie.
MUTTER:
Majestät, mein Sohn rief „Freiheit" und kam vor Gericht –
SOPHIE (gesprochen):
Erfreulich!
MUTTER:
Gnade! Gnade!
Was auch war, den Tod verdient er nicht!
Franz Joseph steht auf. Er ringt mit sich.
FRANZ JOSEPH:
Wenn ich so könnte, wie ich wollte...
Müsst’ ich nicht das tun, was ich sollte,
dann wär’ ich lieber mitleidsvoll und gut.
SOPHIE (teilweise gleichzeitig):
Sei streng! Sei stark!
Sei kalt! Sei hart!
Sei kalt! Sei hart!
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Abgelehnt!
Die Mutter des Verurteilten schreit verzweifelt auf.
MUTTER:
Nein!!
Sie wird von der Todestanzgruppe von der Bühne gezogen. Franz Joseph setzt seine Schreibarbeit fort.
SOPHIE (gesprochen):
Was liegt noch an?
GRÜNNE (gesprochen):
Die Besprechung der politischen Lage.
Ein livrierter Lakai hat inzwischen eine Karte vom östlichen Mittelmeer entrollt. Fürst Schwarzenberg erläutert die gegenwärtige Krisensituation.
SCHWARZENBERG:
Majestät, der Krimkrieg droht sich ernsthaft auszuweiten.
Dass wir Russland diesmal beisteh’n
ist nicht zu vermeiden.
Russland danken wir die Rettung
vor der Revolution.
Außerdem: ein Stück Türkei
erhalten wir als Lohn!
Franz Joseph sieht ratlos seine Mutter an. Erzherzogin Sophie zuckt die Schultern. Franz Joseph wendet sich an seinen Adjutanten.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Wie beurteilen Sie die Lage, Graf Grünne?
GRÜNNE:
Stehn wir zu Russland,
grollt uns England.
Gehen wir mit England,
zürnt uns Russland.
In jedem Fall – ein Bündnis wär’ fatal.
SCHWARZENBERG (gesprochen):
Wir müssen uns entscheiden!
SOPHIE (gesprochen):
Der Kaiser von Österreich muss gar nichts!
GRÜNNE (gesprochen):
Ich darf die Majestät untertänigst daran erinnern,
dass die Kutsche nach Bad Ischl wartet.
SOPHIE: (gesprochen):
Kriege sollen andere führen.
Das glückliche Österreich heiratet...
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig, seine Prinzipien rekapitulierend):
Sich nie zu früh entscheiden,
Ja und Nein vermeiden,
Habsburgs Vorteil sehn
und Opfern entgehn.
Erzherzogin Sophie wirft Franz Joseph einen aufmunternden Blick zu. Er hebt sich und geht mit ihr ab, gefolgt von Graf Grünne. Alle anderen bilden, sich verbeugend eine Reihe... Blackout. Verwandlung.
4. BAD ISCHL
August 1853. Vor der Villa Eltz in Bad Ischl ist eine Kutsche vorgefahren, aus der Ludovika, Helene, Elisabeth samt Gouvernanten, Zofen etc. aussteigen. Kutscher und Diener schleppen Koffer. Sophie kommt in Begleitung der Gräfin Esterházy-Liechtenstein die Treppe herunter und begrüßt Ludovika und Helene. Von Elisabeth nimmt sie kaum Notiz. Lucheni betritt als erster die Szene. Er mimt einen Gepäckträger, einen Koffer in der einen, eine Hutschachtel in der anderen Hand.
LUCHENI (gesprochen):
August 1853. Bad Ischl. Der Kaiser von
Österreich trifft eine principessa aus dem Bauernadel. Warum?
Magari... le mamme! Die Mütter wollen es so. Sie haben ein
Rendezvous geplant, weitab von Wien am Fuße der Alpen...
A, perque non?
(gesungen)
Ein Sommer in Bad Ischl ist immer eine Reise wert,
und das Herz so hoffnungsvoll.
Sophie hat ihrer Schwester die Sache gut erklärt,
doch sie läuft nicht, wie sie soll –
Lucheni mit dem Gepäck ab..
SOPHIE:
Warum kommt ihr erst jetzt?
LUDOVIKA:
Ein Wetter hielt uns auf!
Wir brauchen jetzt ein wenig Ruhe...
SOPHIE:
Wo denkst du hin?
Der Kaiser erwartet euch um vier –
LUDOVIKA:
Was?
HELENE:
Schon?
SOPHIE:
Wie sieht Helene aus?
LUDOVIKA:
Max lässt sich entschuldigen... Doch
ich hab’ Sisi mitgebracht.
SOPHIE:
Das Kleid ist ganz unmöglich!
Scheußlich die Frisur!
HELENE:
Ich zieh mich um!
SOPHIE:
Das geht nicht mehr!
(gesprochen)
Einen Kaiser lässt man nicht warten!
Man begibt sich auf die Terrasse vor der Villa.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Franz Joseph tritt auf. Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth begrüßen einander förmlich. Man setzt sich in die Gartenstühle, auf der einen Seite Erzherzogin Sophie und Franz Joseph, auf der anderen Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth. Lucheni bietet gefüllte Teetassen an, die die Damen in die Hand nehmen. Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie unterhalten sich unhörbar. Franz Joseph ist die Situation peinlich. Helene sitzt wie auf einem Folterstuhl und Elisabeth langweilt sich.
LUCHENI:
Die Mütter sind gesprächig,
der junge Kaiser schweigt.
Die Heiratskandidatin schwitzt.
Die Sache wird genierlich,
weil jetzt der Kaiser zeigt,
dass er Eigensinn besitzt.
SOPHIE:
Nun, Franz Joseph, sag rundheraus,
wie sie dir gefällt –
FRANZ JOSEPH:
Wer?
SOPHIE:
Deine reizende Cousine –
FRANZ JOSEPH:
Wie eine frische Mandel,
die grad zerspringt.
Erzherzogin Sophie wirft Herzogin Ludovika einen bedeutungsvollen Blick zu.
LUDOVIKA:
Das ist ja beinahe Poesie!
FRANZ JOSEPH:
Sie hat so liebe, sanfte Augen... und Lippen
rot wie Erdbeeren.
SOPHIE:
Und ein ordentliches Becken!
LUDOVIKA:
So?
FRANZ JOSEPH:
Auf dem Ball heut abend tanz ich...
SOPHIE:
Ja?
FRANZ JOSEPH:
nur mit ihr!
LUDOVIKA:
Er mag sie!
SOPHIE:
Nun, dann lad’ sie ein...
(gesprochen, zu Helene)
Komm her!
(zu Franz Joseph)
Geh zu ihr! Nimm sie in den Arm!
Franz Joseph erhebt sich, geht auf Helene zu. Diese nimmt lächelnd Haltung an und reicht Franz Joseph die Hand. Er sieht sie jedoch gar nicht an, sondern steuert an Helene vorbei direkt auf Elisabeth zu, die ihn verdutzt anstaunt.
LUDOVIKA:
Wie?
SOPHIE:
Die?
Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie blicken sich entsetzt an.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika und Helene sind entsetzt aufgesprungen. Franz Joseph hält Elisabeth bei den Händen und himmelt sie an.
ELISABETH:
Warum ich?
FRANZ JOSEPH:
Weil ich dich mag.
ELISABETH:
Doch meine Schwester ist viel schöner.
LUDOVIKA:
Er nimmt eine meiner Töchter.
SOPHIE:
Doch die Falsche.
HELENE:
Drei Jahre probiert – französisch parliert,
Manieren einstudiert.
HELENE, SOPHIE & LUDIVIKA:
Drei Jahre Ermahnung, Erziehung und Planung.
Umsonst! Alles umsonst!
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE, LUDOVIKA, LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
LUCHENI:
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Alle ab. Lichtwechsel. Verwandlung.
5. ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Am 13. März 1854 trifft der junge Kaiser Franz Joseph seine Braut Elisabeth in Possenhofen. Zum ersten mal sind die Verlobten alleine.
ELISABETH:
Niemand wird so glücklich sein wie wir.
Du und ich tun nur, was uns gefällt.
Bei der Arbeit sitz ich immer neben dir
und danach reit ich mit dir durch Wald und Wiesen.
Ich wird mich in deinen Augen sehn.
Ich reis’ mit dir um die ganze Welt.
Will mit dir auf hohen Bergen stehn,
Hand in Hand und barfuss über weiße Strände gehen.
Grenzenlos weit, schrankenlos frei.
FRANZ JOSEPH:
Eins musst du wissen,
ein Kaiser ist nie für sich allein.
Mit mir zu leben, wird oft nicht einfach für dich sein.
ELISABETH:
Was andre wichtig finden,
zählt nicht für mich.
FRANZ JOSEPH:
Vieles wird sich ändern...
ELISABETH:
Doch ich hab’ ja dich!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Nichts ist schwer,
solang du bei mir bist.
Wenn ich dich hab’, gibt es nichts,
was unerträglich ist.
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
Sie fröstelt, er legt ihr seinen Militärmantel über die Schultern.
FRANZ JOSEPH:
Im Joch der vielen Pflichten
geht mancher Traum verlor’n...
ELISABETH:
Doch unser Traum bleibt nah!
FRANZ JOSEPH:
Wir sind nicht wie die andern
zum Glücklichsein gebor’n.
ELISABETH:
Doch füreinander da!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Du wirst das Leben bald
durch meine Augen sehn.
Und jeden Tag mich ein wenig
mehr verstehn...
Inzwischen hat Franz Joseph ein Kollier in den Händen, das er Elisabeth um den Hals hängt. Das Orchester übernimmt die Chorusmelodie.
FRANZ JOSEPH:
Hier nimm diese Kette... als Zeichen,
dass du nun bei mir bist.
ELISABETH:
Wie kostbar!
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich... Ich brauch dich!
ELISABETH:
Wie schwer die Kette ist...
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich. Ich brauch dich... Lass mich nie allein!
Langsam versinkt die Szene im Dunkel. Verwandlung.
6. AUGUSTINERKIRCHE IN WIEN
Orgelklang. Zehntausend Kerzen erhellen die festlich geschmückte Kirche. Gleich wird das Brautpaar kommen. Groteske Hochzeitsgäste – Österreichs Hochadel und Würdenträger aus ganz Europa – ziehen in die Kirche ein. Der Orgelklang schwillt an. Kardinalerzbischof Rauscher kommt hinter dem Altar vor. Das Brautpaar, geleitet durch Erzherzogin Sophie und Herzogin Ludovika, betritt die Kirche und geht durch den Mittelgang zu zwei Betschemeln vor dem Altar. Elisabeth und Franz Joseph knien vor dem Kardinalerzbischof nieder. Indem sich der Kirchenraum füllt, stimmen mehr und mehr Hochzeitsgäste in den Choral ein.
HOCHZEITSGÄSTE:
Alle Fragen sind gestellt
und alle Phrasen eingeübt.
Wir sind die letzten einer Welt,
aus der es keinen Ausweg gibt.
Denn alle Sünden sind gewagt.
Die Tugenden sind einstudiert,
und alle Flüche sind gesagt,
und alle Segen revidiert.
Die Hässlichkeit empört uns nicht.
Die Schönheit scheint uns längst banal.
Die gute Tat belehrt uns nicht.
Die böse Tat ist uns egal.
Denn alle Wunder sind geschehn
und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn,
uns alle Klänge totgehört.
Alle Fragen sind gestellt,
und alle Chancen sind verschenkt.
Wir sind die Letzten einer Welt,
die stets an ihren Selbstmord denkt.
Und alles, alles was passiert,
hilft uns, die Zeit zu überstehn.
Weil jedes Leid uns delektiert,
sehn wir dich gerne untergehn
Elisabeth...
Elisabeth.
Das Licht hat sich inzwischen ganz auf Elisabeth konzentriert.
RAUSCHER (gesprochen):
... den heiligen Bund der Ehe zu schließen
mit seiner apostolischen Majestät Franz
Joseph von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von
Böhmen, Slawonien und Venetien, Beschirmer von Jerusalem.
Wenn das Euer Wille ist, so antwortet mit Ja!
Ein Augenblick atemlose Stille.
ELISABETH (nach einem Blick zu ihrer Mutter):
Ja!
Drohend hallen dumpfe Glockentöne und der Klang von Böllerschüssen von draußen herein. Das Brautpaar wechselt die Ringe. Die Szene versinkt im Dunkel. In einer dämmrigen Lichtinsel auf der Hinterbühne sieht man den Tod am Strang einer unsichtbaren Riesenglocke ziehen.
Verwandlung.
7. BALLSAAL IM SCHLOSS SCHÖNBRUNN
Vor die Kirchenszene fällt ein Prospekt, der ein überdimensioniertes Orchestrion zeigt. Nach Art eines Adventskalenders besteht er aus lauter Klapptüren, die sich nach und nach öffnen und so immer vollständiger den Blick in den dahinter liegenden illuminierten Ballsaal freigeben, in dem die Hochzeitsgäste und das Brautpaar tanzen...
Aus der ersten Türe der Orchestrions tritt Herzog Max, aus einer Zweiten gleich darauf die Erzherzogin Sophie. Unabhängig voneinander äußern beide ihre Unzufriedenheit mit der Hochzeit.
MAX (gesprochen):
Diese Hochzeit ist Ihr Werk, Frau
Schwägerin. Sind Sie jetzt zufrieden?
SOPHIE (gesprochen):
Nein. Aber Ihnen gratuliere ich,
Herr Brautvater.
MAX (gesprochen):
Gratulieren Sie mir nicht.
(gesungen)
Liebe macht dumm!
Sisi gibt für ihn
auf, was das Leben verschönt.
Wien bringt sie um.
Sie sollte fliehn,
ehe sie sich dran gewöhnt.
SOPHIE:
Liebe macht blind!
Franz weiß nicht, was er tut.
Er hat auf mich nicht gehört.
MAX:
Warum musste es der sein?
SOPHIE:
Seh ich das Kind,
packt mich die Wut.
Sie hat meine Pläne zerstört.
Der Kleinen fehlt fast alles...
MAX (gleichzeitig):
Dem Kaiser fehlt fast alles...
SOPHIE:
... was eine Kaiserin braucht.
MAX:
... was meine Sisi braucht.
SOPHIE:
Ich seh sie...
MAX & SOPHIE:
... und denk bei mir:
SOPHIE:
Er passt nicht zu ihr!
MAX:
Sie passt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er passt nicht zu ihr.
MAX:
Sie passt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er passt nicht...
MAX & SOPHIE:
... er passt nicht, er passt nicht zu ihr!
Lichtwechsel. In Gruppen stehen die Hochzeitsgäste am Rande der Tanzfläche, auf der weiter getanzt wird. Sie reden über das Thema des Tages – die junge Braut und die neue Kaiserin. Erzherzogin Sophie und Herzog Max verlieren sich in der Gesellschaft.
ARISTOKRATEN:
Was für eine schöne Trauung!
Der Rauscher hat zu lang geredet.
ARISTOKRATINNEN:
Wirklich süß!
Rührend naiv! Und weich wie Wachs! Redet nicht viel.
ARISTOKRATEN:
Wie gefällt ihnen die neue Kaiserin?
Aussehen tut sie nett.
ARISTOKRATINNEN:
Neu am Hof,
einfach zu führn. Mit der haben wir leichtes Spiel!
ARISTOKRATEN:
Ihr Stammbaum hat zwar Fehler...
Das woll’n wir übersehn!
Ein Kind noch!
Es gibt schlechte Omen...
ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist freundlich...
ARISTOKRATEN:
... In der Schatzkammer...
ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist schüchtern!
ARISTOKRATEN:
... fiel die Krone zu Boden...
ARISTOKRATINNEN:
Sie ist naiv!
ARISTOKRATINNEN:
Und beim Aussteigen aus der Kutsche...
ARISTOKRATEN:
Etwas linkisch!
ARISTOKRATINNEN:
... verlor die junge Kaiserin...
ARISTOKRATEN:
Sie tut sich...
ARISTOKRATINNEN:
... beinah ihr neues Diadem.
ARISTOKRATEN:
... noch schwer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe):
Es ist fast wie im Märchen:
Ein Kind wird Kaiserin!
So was gibt es sonst nicht mehr!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe, gleichzeitig):
Rot geweinte Augen! Ungeschickt und brav!
So entzückend hilflos wie ein Schaf.
Hat kein Gewicht, ist ein kleines Licht.
ARISTOKRATINNEN (erste Gruppe):
Sie passt gut hierher!
ARISTOKRATEN (erste Gruppe):
Sie apsst gut hierher!
ARISTOKRATEN (zweite Gruppe):
Sie passt nicht hierher!
ARISTOKRATINNEN (zweite Gruppe):
Sie passt nicht hierher!
ARISTOKRATEN & ARISTOKRATINNEN:
Sie passt gut...
Sie passt nicht,
sie passt gut / nicht hierher!
Lichtwechsel. Inzwischen hat sich das Orchestrion ganz aufgelöst. Der Blick geht in den strahlend hellen Ballsaal. Franz Joseph und Elisabeth treten auf. Sie eröffnen den Hochzeitswalzer. Die Hochzeitsgäste beteiligen sich am Tanz. Die Musik wird jedoch zunehmend dissonanter. Immer mehr Gäste verwandeln sich zurück in die bleichen Gestalten des Totentanzes. Der Tod hat den Ballsaal betreten. Er blickt von der Treppe, die in den Saal führt, auf die Tanzenden und beobachtet das Kaiserpaar. Als Elisabeth ihn bemerkt, verbeugt er sich grüßend. Elisabeth lächelt dem Tod verstohlen zu. Der Ballsaal versinkt im Halbdunkel. Nur Elisabeth tanzt eine Zeit lang weiter wie in Trance, bevor sie sich in Franz Josephs Arme flüchtet. Der Tod kommt die Treppe herunter.
TOD:
Es ist ein altes Thema, doch neu für mich.
Zwei, die dieselbe lieben – nämlich dich.
Du hast dich entschieden: Ich hab’ dich verpasst.
Bin auf deiner Hochzeit nur der Gast.
Du hast dich abgewendet. Doch nur zum Schein.
Du willst ihm treu sein, doch du lädst mich ein.
Noch in seinen Armen lächelst du mir zu.
Und wohin das führ’n wird, weißt auch du –
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Die Zeit wird alt und müde, der Wein wird schal.
Die Luft ist schwül und stickig im Spiegelsaal.
Unsichtbare Augen, sehn uns beiden zu.
Alle warten auf das Rendezvous.
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Und so wart ich Dunkel und schau zu dir hin
als der große Verlierer. Doch ich weiß, ich gewinn!
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Uh-uh-uh...
TOD:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
ANDERE BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Wien am Ende. Zeitwende.
Alle Fragen sind gestellt.
BALLGÄSTE & TOD:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir / dir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
Tanz ich / tanzt er allein...
TOD:
... mit dir.
Der Tod geht ab. Lichtwechsel. Das Kaiserpaar ist scheinbar alleine. Elisabeth berührt mit zaghafter Zärtlichkeit Franz Josephs Wange.
Aus dem Dunkel von beiden Seiten Volk auf, gaffende Gestalten aus allen Bevölkerungsschichten. Mit einer Geste fordert Lucheni das Volk auf, sich dem Paar zu nähern.
Franz Joseph und Elisabeth umarmen sich. Ihr Liebesthema klingt auf. Die Gaffer recken die Hälse. Lucheni ahmt einen Jahrmarktsschreier nach. Mit einer einladenden Handbewegung ermutigt er die Gaffer, jedes Taktgefühl aufzugeben.
LUCHENI (gesprochen):
Treten Sie näher, meine Herrschaften. Werden
Sie Zeuge, wie der Kaiser von Österreich seine Braut zur
Gattin macht. Der Vollzug der Ehe ist die Voraussetzung
für die Geburt des Thronfolgers. Deshalb, verehrtes
Publikum, ist diese Umarmung von öffentlichem Interesse...!
Elisabeth löst sich aus der Umarmung. Erschrocken blickt sie in die gaffenden Gesichter. Hastig zieht sie Franz Joseph weg, um an anderer Stelle mit ihm ungestört zu sein. Doch da stehen schon andere Gaffer. Daraufhin verzichtet sie auf weitere Zärtlichkeiten.
ELISABETH:
Man begafft mich, als wär’ ich ein selt’nes Tier.
FRANZ JOSEPH:
Daran musst du dich gewöhnen,
wenn du lebst mit mir.
ELISABETH:
Wenn du bloß kein Kaiser wärst,
könnt ich glücklich sein mit dir.
Elisabeth drängt Franz Joseph zu gehen. Die Gaffer folgen feixend. Lucheni sieht dem Brautpaar nach.
LUCHENI:
Das Vöglein ist in den Käfig geflogen, die Gittertür
wird zugemacht. Kann man’s dem Volk verdenken,
dass es das Tierchen besichtigen will? Eine Rarität, in
Freiheit geboren und noch nicht dressiert!
Lichtwechsel. Verwandlung.
8. ELISABETHS GEMÄCHER IM SCHLOSS LAXENBURG
Es ist früher Morgen. Die Erzherzogin stattet ihrer Schwiegertochter einen nicht angekündigten Besuch in Laxenburg ab. Begleitet von einer Hofdame und einem Trupp von Zofen, rauscht Erzherzogin Sophie in das Appartement der Kaiserin. Elisabeths oberste Hofmeisterin, die Gräfin Esterházy-Liechtenstein, kommt Erzherzogin Sophie mit unterwürfiger Miene entgegen.
SOPHIE (gesprochen):
Wo ist die Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN (gesprochen):
Sie schläft noch, Hoheit!
SOPHIE (gesprochen):
Dann wird es höchste Zeit, sie aufzuwecken!
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein verschwindet. Erzherzogin Sophie erläutert ihrer Begleiterin den Zweck des Besuches.
SOPHIE:
Die Kaiserin ist noch sehr jung.
Sie braucht noch manche Förderung.
Zeit, dass sie lernt, was sich gehört.
Zeit, dass sie jemand lehrt, sich zu fügen.
Sie ist verbauert ganz und gar.
HOFDAMEN:
Ganz recht!
SOPHIE:
Nimmt ihre Pflichten hier nicht wahr.
HOFDAMEN:
Sehr schlecht!
SOPHIE:
Hat das Gehorchen nicht geübt, ist in
sich selbst verliebt und nicht streng mit sich.
Eine Kaiserin muss glänzen
im Bewusstsein ihrer Pflichten.
Muss die Dynastie ergänzen
und verzichten.
HOFDAME:
In der Tat!
Elisabeth und die Gräfin Esterházy-Liechtenstein kommen aus dem Schlafzimmer. Elisabeth trägt nur ein Morgenrock über dem Nachthemd. Sie ist noch ziemlich verschlafen.
ELISABETH (gesprochen):
Was ist denn los?
SOPHIE:
Mein Kind, man schläft hier nicht so lang.
ELISABETH:
Warum?
SOPHIE:
Ich dulde keinen Müßiggang!
ELISABETH:
Ich war so müde...
SOPHIE:
Um fünf Uhr früh beginnt der Tag,
pünktlich beim Glockenschlag jeden Morgen.
ELISABETH:
Aber Franz Joseph hat mit gesagt,
ich sollte mich heut mal ausruhn.
SOPHIE:
Ausruhn wovon? Ich hab ihn gefragt.
Ich weiß, dass du dich heut nacht geschont hast.
ELISABETH:
Das kann nicht sein...
SOPHIE:
Das sagte ich auch –
ELISABETH:
... Er würde mich nicht an Sie verraten!
SOPHIE:
Vor mir hält mein Sohn gar nichts geheim.
ELISABETH:
Das ist nicht wahr!
SOPHIE:
Dann frag ihn doch selber...
Gibt ihrer Hofdame ein Zeichen. Diese geht ab, um Franz Joseph zu holen.
ELISABETH:
Das werd’ ich –
SOPHIE:
Er kam mit mir her!
Sie bemüht sich, sachlich zu bleiben.
Zeig mir mal deine Zähne her!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Aus gutem Grund.
ELISABETH:
Die Zähne?
SOPHIE:
Ja! Ist das so schwer?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Öffnen sie den Mund!
Elisabeth zeigt Erzherzogin Sophie die Zähne.
SOPHIE:
Die sind zu gelb, das darf nicht sein.
ELISABETH:
Bin ich ein Pferd? –
SOPHIE:
O nein! Jedoch ein Vorbild –
ELISABETH:
Sie kritisieren an mir nur herum.
Was ich auch will, ist verboten –
SOPHIE:
Ich will, dass du zur Kaiserin wirst.
Du bist noch nicht gezähmt und gezogen!
ELISABETH:
Ich glaub’, Sie sind nur neidisch auf mich...
SOPHIE:
Neidisch auf dich?!
Das ist wirklich komisch!
Franz Joseph und die Hofdame betreten das Zimmer.
ELISABETH:
Ich will... –
SOPHIE:
Lern’ erst mal bescheiden zu sein.
ELISABETH:
Ich möchte... –
SOPHIE:
Nein!
ELISABETH:
Hilf mir, Franz Joseph! Sieh, wie deine Mutter mich quält!
HOFDAME & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muss glänzen
im Bewusstsein ihrer Pflichten.
Muss die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE (gleichzeitig):
Überlass sie mir Sohn!
Ich erzieh, ich erzieh sie schon. Überlass sie mir,
mein Sohn! Ich erzieh sie schon.
ELISABETH (gleichzeitig):
Sie quält mich, sie sperrt mich ein!
Hilf mir, lass mich nicht allein!
FRANZ JOSEPH:
Ich muss ein Weltreich lenken,
an meine Völker denken.
Bitte sträub’ dich nicht.
Sich fügen ist Pflicht.
Vergiss den Stolz, steh mir zur Seite.
Es wäre besser für uns beide, wenn du dem Rat meiner
Mutter folgst...
SOPHIE:
Sei streng! Sei stark!
ELISABETH (gesprochen):
Also, lässt du mich im Stich...
Sie dreht sich abrupt um und geht allein zur Rampe. Franz Joseph macht Anstalten, ihr zu folgen, wird aber von Erzherzogin Sophie zurückgehalten. Lichtwechsel. Elisabeth allein vor einem Prospekt.
ELISABETH:
Ich will nicht gehorsam,
gezähmt und gezogen sein.
Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
denn ich gehör nur mir.
Ich möchte vom Drahtseil herabsehn auf diese Welt.
Ich möchte aufs Eis gehen und selbst sehn,
wie lang’s mich hält.
Was geht es dich an, was ich riskier!?
Ich gehör nur mir.
Willst du mich belehren
dann zwingst du mich bloß,
zu fliehn vor der lästigen Pflicht.
Willst du mich bekehren, dann reiß ich mich los
und flieg wie ein Vogel ins Licht.
Und will ich die Sterne, dann finde ich selbst dorthin.
Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin.
Ich wehr mich, bevor ich mich verlier!
Denn ich gehör nur mir.
Ich will nicht mit Fragen und Wünschen belastet sein,
vom Saum bis zum Kragen von Blicken betastet sein.
Ich flieh’, wenn ich fremde Augen spür’.
Denn ich gehör nur mir.
Und willst du mich finden, dann halt mich nicht fest.
Ich geb’ meine Freiheit nicht her.
Und willst du mich binden, verlass ich dein Nest
und tauch wie ein Vogel ins Meer.
Ich warte auf Freunde und suche Geborgenheit.
Ich teile die Freude, ich teile die Traurigkeit.
Doch verlang nicht mein Leben,
das kann ich dir nicht geben.
Denn ich gehör nur mir.
Nur mir!
Verwandlung.
9. STATIONEN EINER EHE
Die Bühne verwandelt sich in ein Papiertheater, wie es den Kindern des 19. Jahrhunderts als Spielzeug diente. Lucheni zieht sich Glitzerfrack und Zylinder an.
LUCHENI:
Den Tod verdrießt es sehr, Elisabeth am Wiener
Hof zu sehn. Schließlich ist er abgeblitzt, man kann seinen
Groll verstehn. Drum: wenn trotz Milch und Honig ihr das
Leben hier nicht schmeckt, dann könnt’ es durchaus
möglich sein, dass er dahinter steckt.
Luchenis Verwandlung ist beendet.
Im ersten Ehejahr lässt sie der Kaiser viel allein. Was tut’s?
Ihr Papagei hat immer für sie Zeit.
Im zweiten Ehejahr kriegt sie ihr erstes Töchterlein und
wird von ihren Mutterpflichten prompt befreit.
Lucheni präsentiert ein Schild mit der Aufschrift: März 1855. An anderer Stelle der Bühne sieht man, wie Elisabeth in Sophies Appartement gelaufen kommt, in dem Hofdamen die dorthin geschaffte Wiege mit Elisabeths erstem Kind Sophie umstehen.
ELISABETH:
Wo ist meine Kleine?
SOPHIE:
Ich nehme mich ihrer an!
ELISABETH:
Ich will mein Kind wiederhaben!
SOPHIE:
Du siehst es dann und wann.
ELISABETH:
Ohne mich zu fragen, tauften Sie es Sophie. –
Ausgerechnet Ihren Namen!
SOPHIE:
Ich kümmre mich um sie!
An anderer Stelle der Bühne: Franz Joseph an seinem Schreibtisch, neben ihm der Adjutant. Als Elisabeth sich quer über die Bühne hinweg an ihn wendet, unterbricht er seine Arbeit mit erstauntem Blick.
ELISABETH:
Franz Joseph, deine Mutter
quält mich in einem fort!
Jetzt hat sie mein Kind gestohlen –
sprich ein klares Wort!
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Sie ist ja selbst noch fast ein Kind –
Sie kann kein Kind erziehn!
FRANZ JOSEPH:
Beruhig dich nur, mein Engel! Mama weiß,
was sie tut! Hat mit Kindern viel Erfahrung, und sie
meint es gut.
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Bedarf noch selbst der starken Hand – Am Kaiserhof von Wien.
ELISABETH:
Ich versteh, du stellst dich...
FRANZ JOSEPH:
Ich will keinen Streit...
ELISABETH:
... gegen mich!
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Versteh mich doch. Ich kann nicht anders.
Gräfin Esterházy-Liechtenstein führt die sich sträubende Elisabeth mit sanfter Gewalt aus dem Appartement der Erzherzogin.
ELISABETH (gesprochen):
Mein Kind! Ich will mein Kind!
Die Szene verschwindet. Das Licht konzentriert sich wieder auf Lucheni.
LUCHENI:
Im dritten Ehejahr kommt wieder eine Tochter
an. Die Mutter heult umsonst – das Kind wird requiriert.
Und langsam wird ihr klar, dass sie nur was erreichen kann,
wenn man von ihr was will und sie den Preis diktiert.
Lucheni präsentiert ein Schild mit der Aufschrift Oktober 1856. Verwandlung: Das kaiserliche Speisezimmer, in dem Elisabeth und Franz Joseph schweigend essen.
FRANZ JOSEPH:
Auch deine Schönheit kann uns politisch nützlich sein.
Komm mit nach Ungarn, setz’ deinen Zauber für mich ein.
ELISABETH:
Gib mir die Kinder wieder, die man mir nahm.
FRANZ JOSEPH:
Setz meine Gegner matt durch deinen Charme.
ELISABETH:
Ich reis’ nur mit den Kindern. Hol sie zuerst zurück!
Dann will ich dich gern begleiten im Dienst der Politik.
FRANZ JOSEPH:
Die Reise ist kein Ausflug,
die Kinder sind noch zu klein.
ELISABETH:
Solang sie nicht bei mir sind, heißt meine Antwort
“nein“.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Gott, ich begreif dich nicht. Aber bitte,
du sollst deinen Willen haben.
Verwandlung. Das Licht konzentriert sich wieder auf Lucheni. Dieser zeigt ein Schild mit der Aufschrift Mai 1857
LUCHENI:
So reist im vierten Ehejahr samt den zwei Kindern
das Kaiserpaar nach Ungarn, wo jemand auf sie wartet.
Sie wissen schon wer? – Oder...?
Verwandlung. Der Schlossplatz von Debrezin am Abend. Franz Joseph und Elisabeth begrüßen eine Gruppe ungarischer Magnaten, unter ihnen die Grafen Stephan Károlyi, Elemer Batthyány und Gyula Andrássy. Diese kommentieren den Auftritt Elisabeths mit gedämpften Stimmen.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Die Kaiserin ist schön.
KÁROLYI (gesprochen):
Wie steht sie zu Ungarn?
BATTHYÁYNY (gesprochen):
Sie liebt alles, was ihre Schwiegermutter hasst.
KÁROLYI (gesprochen):
Dann wird sie uns unterstützen.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Sie sieht traurig aus.
BATTHÁYANY (gesprochen):
Ihre Kinder sind krank. Die kleine
Sophie soll hohes Fieber haben.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Die Sorge macht sie noch schöner.
Einer der Magnaten dreht sich um und ist der Tod. Der Totentanzrhythmus setzt ein. Der Tod fixiert Elisabeth, tritt vor sie und schlägt den Mantel zurück. Darunter trägt er die Leiche der zweijährigen Sophie.
ELISABETH:
Nein!!
Der Tod legt die Kinderleiche vor die fassungslose Elisabeth. Dann tritt er zurück und fordert Elisabeth mit einer lasziven Geste auf, ihm zu folgen. Sie schwankt und hält sich, den Blick starr auf den Tod gerichtet, an Franz Joseph fest. Freeze.
ELISABETH:
Nein! Nicht mein Kind! Nein! Das kann nicht sein.
Tod! – Mörder! – Nie wird ich dir verzeihn!!
TOD:
Weißt du noch, wie wir erbebten,
als wir zwei im Tanze schwebten?
Du brauchst mich. Ja, du brauchst mich.
Gib doch zu, dass du mich mehr liebst,
als den Mann an deiner Seite.
Auch wenn du ihm scheinbar mehr gibst,
du ziehst ihn in die Nacht.
Das Licht hat sich unterdessen ganz auf den Tod konzentriert. Die Gruppe im Hintergrund verschwindet im Dunkel.
Die Schatten werden länger.
Es wird Abend, eh’ dein Tag begann.
Die Schatten werden länger.
Diese Welt zerfällt, halt dich nicht fest daran!
Blackout. Verwandlung.
10. EIN WIENER KAFFEEHAUS
An anderer Stelle der Bühne sehen wir Lucheni als Kaffeehausober auf dem Weg von der Küche zur Gaststube
LUCHENI (gesprochen):
Ma que cazzo voi! Die Welt geht unter, indubbiamente.
Bei Hof hat man das noch nicht bemerkt. Aber in
den Kaffeehäusern von Wien weiß das jeder.
Die Szene wird hell. An Kaffeehaustischen sitzen verschiedenen Intellektuelle. Sie lesen Zeitung, rauchen Zigarren, schreiben, spielen Schach, langweilen und unterhalten sich. Lucheni serviert und nimmt Bestellungen auf.
PROFESSOR:
Was steht im Feuilleton?
JOURNALIST:
Wie schmeckt heut die Bouillon?
STUDENT:
Spielt irgendwer mit mir Skat?
BOHEMIEN:
Mein Gott, ist mir wieder fad!
POET:
Unsre junge Kaiserin weint den ganzen Tag.
Sie isst nicht mehr, seit sie ihr Kind verlor.
BOHEMIEN:
Noch eine Melange!
LUCHENI:
Noch eine Melange.
CAFÉGAST 1:
Schwanger ist sie wohl auch!
STUDENT 2:
Sie zeigt nicht mehr den Bauch.
LUCHENI & POET:
Zu lang entbehren wir schon den Erben für den Thron.
BOHEMIEN 2:
In Zirkus Renz war sie neulich zu Gast.
CAFÉGAST 2:
Der Mutter des Kaisers hat’s gar nicht gepasst.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
LUCHENI (gesprochen):
Schwätzer! Wissen alles und nichts. Hocken da
per ingannare il tempo. Schlagen die Zeit tot. Tagaus,
tagein.
POET:
Wieder ein Jahr vorbei!
BOHEMIEN:
Das ist mir einerlei!
PROFESSOR (in der Zeitung lesend):
Wir haben ein Konkordat!
STUDENT:
Wer spielt heut mit mir Skat?
JOURNALIST:
Unser junger Kaiser zeigt nicht viel Geschick.
Jedenfalls nicht in der Politik.
BOHEMIEN:
Noch ein Likör!
CAFÉGAST 1:
Der letzte Krieg um die Krim hat uns neutralisiert.
STUDENT 2:
Und jetzt ist Österreich politisch ganz isoliert.
PROFESSOR:
Frankreich, England, Russland
stehn in einer Front.
Und jetzt gibt es Krieg im Piemont.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
STUDENT:
Diesmal war es ein Sohn, wer hätt’ es geglaubt.
POET:
Und auch ihn hat man gleich der Mutter geraubt.
JOURNALIST:
Ich hab erfahr’n, sie mag die Magyarn!
PROFESSOR & STUDENTEN:
Denkt sie liberal?
BOHEMIEN & POETEN:
Ist sie radikal?
ALLE (außer Lucheni):
Sie ist eine seltsame Frau!
No, und wenn schon, gut für die Apokalypse.
LUCHENI:
Als Rudolf zur Welt kam,
hatte die Mutter im Wochenbett
eine schreckliche Vision.
Sie sah rote Fahnen,
Massen von Menschen am Ballhausplatz
mit Fäusten sie bedrohn.
Sie sah Barrikaden
und darauf den eigenen Sohn
als Führer der Revolution!
POET:
Herrlich exzentrisch!
BOHEMIEN:
Schön dekadent.
STUDENT & PROFESSOR:
Österreich braucht jetzt ein Parlament!
ALLE:
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
ERSTE GRUPPE:
Weil uns fad ist, weil’s net schad is...
ZWEITE GRUPPE (gleichzeitig):
Stieren, schnofeln, plauschen,
plaudern, rauchen, pofeln, raunzen, zaudern, lesen, dösen
beim Kaffee!
DRITTE GRUPPE (gleichzeitig):
Weil uns fad is, desolat is...
weil’s net schad is, weil, was g’maht is
und parat is, g’schieht ja eh!
Lichtwechsel und Verwandlung.
11. VORZIMMER DER ERZHERZOGLICHEN GEMÄCHER IM SCHLOSS SCHÖNBRUNN
Elisabeths Hofdame ist gerade dabei, mit dem kleinen Rudolf die Gemächer der Erzherzogin Sophie zu verlassen, als diese auftritt und sie mit scharfer Stimme zurückruft. Hinter ihr tritt Major Graf Gondrecourt auf, in der Hand eine Uniformjacke in Kindergröße.
SOPHIE (gesprochen):
Halt! Wohin?
HOFDAME:
Die Kaiserin möchte mit ihrem Sohn spazieren gehen.
Sie sagt, sie hat Rudolf drei Wochen lang nicht mehr gesehn.
Erzherzogin Sophie fordert die Hofdame mit einer Geste auf, Rudolf in sein Zimmer zurückzubringen.
SOPHIE:
Der Kronprinz bleibt hier. Die Besuche
sind nicht gut für ihn. Er ist schon ganz verweichlicht. Dem
Kind fehlt jede Disziplin. Damit er zum Mann wird, erzieht
ihn jetzt Graf Gondrecourt. Mit Drill und Pistolen, mit
Liegestütz und Wasserkur.
Graf Gondrecourt nickt zustimmend.
HOFDAME (gesprochen):
Aber er ist doch noch ein Kind!
SOPHIE:
Kind oder nicht. Für den, der regiert, zählt
nur Pflicht. Wen Gott auserwählt Herr zu sein, dem darf man
seine Schwächen nicht verzeihn.
Die Hofdame gehorcht. Graf Gondrecourt packt Rudolf und zwingt ihn in die mitgebrachte Uniformjacke. Der kleine Rudolf wehrt sich.
RUDOLF:
Warum darf ich denn nie zu Mamma?
HOFDAME (gesprochen):
Es geht nicht.
SOPHIE:
Du wirst Soldat. Wer zum Herrschen
bestimmt ist darf kein Mutterkind sein.
RUDOLF (gesprochen):
Bitte!
SOPHIE:
Nein!
Die Hofdame geht ab, um Elisabeth zu berichten.
SOPHIE (gesprochen):
Die Wünsche der Kaiserin
sind irrelevant... und Sie richten sich weiterhin nach meinen
Anweisungen.
Sophie gibt Graf Gondrecourt ein Zeichen. Er führt Rudolf fort. Es wird dunkel. Szenenwechsel.
12. ELISABETHS SCHLAFZIMMER
Eine Nacht in der Hofburg im Jahre 1865. Franz Joseph steht im Hausmantel vor Elisabeths Schlafzimmertür, klopft, versucht einzutreten. Die Tür ist verschlossen. Im Schlafzimmer sitzt Elisabeth an ihrem Sekretär und schreibt. Sie hört Franz Joseph, macht aber keine Anstalten, ihn einzulassen.
FRANZ JOSEPH:
Elisabeth? Mach auf, mein Engel.
Ich, dein Mann, sehn mich nach dir.
Lass mich nicht warten!
Hinter mir liegt ein Tag voll Problemen.
Frankreich beginnt mir offen zu drohn.
Skandale, die kein Ende nehmen.
Staatsbankrott, Krieg und Revolution.
Eine Selbstmordwelle, neue Typhusfälle.
Hilf mir einzuschlafen
so wie ein Schiff im sicher’n Hafen,
von deiner Zärtlichkeit bewacht
und ohne Wunsch für eine Nacht.
Er kann sich nicht erklären, warum sie ihm nicht öffnet. Er lauscht an der Tür, bevor er einen neuen Versuch macht...
Nun öffne mir, lass mich nicht warten.
Sei die Frau, die mich versteht, Elisabeth!
Elisabeth hat aufgehört zu schreiben. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl in Richtung zur Tür um.
ELISABETH:
Warum gehst du nicht zu deiner Mutter?
Sie war dir auch sonst immer lieber...
FRANZ JOSEPH:
Engel!
ELISABETH:
Verschon mich!
FRANZ JOSEPH:
Was hab ich getan?
ELISABETH:
Du lässt zu, dass Rudolf gequält wird.
FRANZ JOSEPH:
Rudolf? Gequält?
ELISABETH:
Ich hab alles erfahr’n. Deine Mutter gab ihn
ihrem Folterschergen.
FRANZ JOSEPH:
Sie lässt ihn wie mich zum Kaiser erziehn. Er ist
noch zu weich.
ELISABETH:
Ihr wollt ihn zerstör’n. Doch ich werd mir das
nicht länger ansehen! Entweder sie oder ich!
Sie öffnet die Tür und hält Franz Joseph das Papier mit ihrem Ultimatum hin. Franz Joseph ergreift es zögernd und sieht es verständnislos an.
ELISABETH (gesprochen):
Ich habe ein förmliches Ultimatum aufgesetzt. Wenn du
mich nicht verlieren willst, erfüll’ es! Ich möchte selbst
über die Erziehung meiner Kinder bestimmen. Und von
nun an will ich entscheiden, was ich tue und lasse. Lies
mein Schreiben und entscheide dich: Für deine Mutter
oder mich! Und jetzt lass mich allein.
Elisabeth schließt heftig die Tür. Franz Joseph betrachtet benommen das Schriftstück, wendet sich ab und geht ins Dunkel. Im Schlafzimmer steht auf einmal der Tod. Elisabeth erschrickt, als sie ihn sieht.
TOD:
Elisabeth, sei nicht verzweifelt.
Ruh dich aus in meinem Arm.
Ich will dich trösten.
Flieh, und du wirst frei sein
und alles Kämpfen wird vorbei sein.
Ich führ dich fort aus Raum und Zeit
in eine bessre Wirklichkeit.
Der Tod zieht Elisabeth an sich. Sie lässt es geschehen.
Elisabeth! Elisabeth! Ich liebe dich...
Abrupt wehrt sich Elisabeth gegen die Versuchung und reißt sich los.
ELISABETH:
Nein! Ich möchte leben.
Ich bin zu jung um aufzugeben.
Ich weiß, ich kann mich selbst befrein.
Jetzt setz ich meine Schönheit ein.
Geh! Ich will dich nicht!
Ich brauch dich nicht! Geh!
Mit einer entschiedenen Geste weist Elisabeth den Tod ab. Dieser weicht zurück und verschwindet im Nichts.
Langsam geht das Licht aus. Verwandlung.
13. MARKTPLATZ IN WIEN
Ein früher Herbstmorgen. Zwischen geschlossenen Marktbuden warten Arbeiter, Hausfrauen und Dienstboten auf die Öffnung des Milchladens. Die Tür der Milchausgabe wird endlich einen Spalt breit geöffnet und eine Hand hängt ein offenbar häufig benutztes Schild an einen Nagel. Sofort schließt sich die Tür wieder. Die Wartenden werden unruhig. Lucheni liest vor, was auf dem Schild steht.
FRAUEN:
Wann gibt’s endlich Milch?
Warum wird uns nicht aufgemacht?
LUCHENI:
Heute keine Lieferung!
MÄNNER:
Wieder umsonst.
Die Kanne leer, wie so oft.
Umsonst gefrorn und gehofft, die halbe Nacht.
MENGE:
Jemand belügt uns.
Jemand betrügt uns.
Jemand hält uns für dumm.
Wir müssen hungern,
andere lungern
in den Palästen rum...
Schluss!
Lucheni hetzt die Menge auf.
LUCHENI:
Wollt ihr wissen, wer die Milch euch nimmt?
MENGE:
Sag wer?
LUCHENI:
Die ganze Milch ist nur für sie bestimmt!
MENGE:
Für wen?
LUCHENI:
Für eure Kaiserin! Sie braucht sie für...
MENGE:
Für was?
LUCHENI:
... ihr Bad!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
FRAUEN:
Was für ein Skandal!
LUCHENI:
Ein Skandal!
FRAUEN:
Das hätt’ ich nie von ihr geglaubt!
LUCHENI:
Das hättet ihr nie von ihr geglaubt!
MÄNNER:
Kinder sterben, weil’s keine Milch gibt für sie...
LUCHENI:
Keine Milch für die Kinder!
MÄNNER:
... während sie badet darin...
LUCHENI:
Sie badet darin!
MÄNNER:
... und uns beraubt!
MENGE:
Was nützt das Klagen,
man muss verjagen,
die uns ins Unglück führ’n!
LUCHENI:
Verjagt, die euch ins Unglück führ’n!
MENGE:
Weg mit den Drohnen,
die uns nicht schonen –
Lasst sie die Volkswut spür’n!
LUCHENI:
Lass sie die Volkswut spür’n!
MENGE:
Schluss!
LUCHENI:
Wollt ihr hören, was die Kaiserin quält?
MENGE:
Sag, was?
LUCHENI:
Wenn sie in ihrem Kamm die Haare zählt,...
MENGE:
Wie das?
LUCHENI:
... weint sie vor Kummer,
denn sie trauert um...
MENGE:
Um was?
LUCHENI:
... ihr Haar!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
MENGE:
Zeit, sich zu wehren!
LUCHENI:
Höchste Zeit!
MENGE:
Wir woll’n sie lehren...
LUCHENI:
Wir woll’n sie lehren!
MENGE:
... dass man uns nicht verlacht.
LUCHENI:
Lasst euch nicht mehr verhöhnen!
MENGE:
Brot für die Armen!
Recht statt Erbarmen!
Nieder mit jeder Macht!
LUCHENI:
Freiheit für das Volk!
MENGE & LUCHENI:
Brüder seid bereit,
es ist soweit!
Schluss mit dem Leid! Sagt ja!
Die neue Zeit ist da!
Lichtwechsel. Verwandlung.
14. ELISABETHS ANKLEIDEZIMMER
Spiegel, Frisiertisch, offene Kleiderschränke. Im Hintergrund ein großer Paravant, hinter dem Elisabeth badet und Toilette macht. Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein gibt der Friseuse und den Kammerzofen Anweisungen. Zwei der Zofen tragen Milchkannen hinter den Paravant. Eine weitere Zofe bereitet die Badetücher vor, die Friseuse mischt vor einer Anrichte das Shampoo für die bevorstehende Haarwäsche der Kaiserin.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Die Kaiserin ist schon im Bad.
Senkt euren Blick, wenn ihr euch naht!
Und gießt behutsam und gemach
heiße Milch nach und nach in die Wanne.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein klatscht in die Hände.
Sind ihre Tücher parfümiert?
ERSTE ZOFE (präsentiert die Badetücher):
Und gekreppt!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Ist das Shampoo schon angerührt?
FRISEUSE (präsentiert das Shampoo):
Nach Rezept: Zuerst den Cognac,
dann das Ei – auf jedes Glas jeweils drei...
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
So verlangt sie es!
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
ZOFEN (gleichzeitig):
Schön soll sie schreiten, Steinen verbreiten.
Schön vor den Leuten. Schön für den Ehemann.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN (gesprochen):
Auch die Erzherzogin findet das sehr vernünftig...
Zofen und Friseuse eilen zwischen Paravant und den Beistelltischen etc. hin und her.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Das Erdbeermus ist für die Haut –
ZOFEN (zweite Gruppe):
Ich fang schon an, sie zu massier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Hier für den Teint das Sauerkraut.
ZOFEN (zweite Gruppe):
Ich muss die Brauen retouschier’n.
Hier kommt das Kalbfleisch fürs Gesicht.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Leg es in dicker Schicht auf die Wange.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Das Rosenwasser – wunderbar!
ZOFEN (zweite Gruppe):
Sechs Stunden muss man sie frisier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Das macht die Augen hell und klar.
ZOFEN (zweite Gruppe):
Sie lässt sich täglich manikür’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Der Fleischsaft, sei sie mittags trinkt,
muss bitte unbedingt vom Filet sein.
ZOFEN (zweite Gruppe):
So bleibt sie rank und schlank.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
ZOFEN (gleichzeitig):
Schön soll sie schreiten, Steinen verbreiten.
Schön vor den Leuten. Schön für den Ehemann.
Alle sehen zu einer vom Publikum nicht einsehbaren Tür, durch die Franz Joseph überraschend das Ankleidezimmer betritt.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN
(gesprochen):
Der Kaiser!
ERSTE ZOFE:
Was? Der Kaiser?
ZWEITE ZOFE:
Hier - bei der Kaiserin?
ERSTE ZOFE:
Um diese Zeit?
ANDERE ZOFEN:
Seltsam, noch nie kam der Kaiser um diese Zeit!
Alle verbeugen sich.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Wo ist die Kaiserin? Ich muss sie sprechen!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN
(gesprochen):
Sie hat ihre Toilette noch nicht beendet, Majestät.
Aber sie können mit ihr sprechen. Sie kann Sie hören.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein Gibt den Zofen ein Zeichen, sich zu entfernen. Zofen und Gräfin ab. Die Friseuse befindet sich noch hinterm Paravant.
FRANZ JOSEPH:
Ich will dir nur sagen,
ich geh auf dein Schreiben ein.
Ich kann nicht ertragen,
von dir nicht geliebt zu sein.
Was immer du willst, ich geb’ es dir,
bevor ich dich verlier.
Ab jetzt sollst es du sein,
die Rudolf zum Mann erzieht.
Anstatt meiner Mutter
bestimmst du, was hier geschieht.
Sie steht nicht mehr zwischen dir und mir,
denn ich gehör nur dir.
Ich herrsche und lenke,
bezwing das Gefühl.
Gefühl ist verboten für mich.
Doch wenn ich an dich denke,
schweigt jedes Kalkül.
Ich werde mir untreu für dich!
Elisabeth tritt hinter dem Paravant hervor. Strahlend, selbstbewusst, aufrecht: die schönste Frau der Welt! Im Spiegel erscheint die Vision des Todes.
ELISABETH:
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
den ich gehör nur mir.
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
STIMME DES TODES (teilweise gleichzeitig):
Was heut das Auge sieht,
ist morgen schon Vergangenheit.
Wohin dein Blick auch flieht,
auf meiner Seite ist die Zeit.
ELISABETH:
Du musst mir nichts geben,
nur lass mir mein Leben!
Elisabeth wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor sie triumphierend auf Franz Joseph zugeht. In diesem Augenblick sehen wir den Tod im Spiegel.
ELISABETH:
Denn ich gehör...
TOD:
Du gehörst...
ELISABETH & TOD:
... nur mir.
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig):
Elisabeth!
Ihre Überraschung verbergend, wendet sich Elisabeth vom Spiegel ab und nickt Franz Jos
PROLOG
Die nächtliche Welt der Toten und Träumer – der Friedhof der Vergangenheit. Zerfetzte Fahnen, welke Blumen, bemooste Steine und modernde Erinnerung. Ein Erhängter baumelt an einem Seil – Luigi Lucheni, Elisabeths Attentäter.
Aus dem Nichts klingt die Stimme des Richters. Ihr antwortet Lucheni, während er sich vom Seil losschneidet und auf die Bühne springt.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Aber warum, Lucheni? Warum haben
Sie die Kaiserin Elisabeth ermordet?
LUCHENI (gesprochen):
Alla malora!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Antworten Sie, Luigi Lucheni!
Aus dem Dunkel des Vergessens treten Geister einer versunkenen Welt ins Licht der Erinnerung. In dem nach und nach entstehenden Tableau erkennen wir einige berühmte Gestalten des 19. Jahrhunderts. Sie beobachten Lucheni.
LUCHENI (gesprochen):
Warum, warum... Nacht für Nacht dieselbe Frage,
seit hundert Jahren! Was soll die Fragerei? Merda.
Ich bin tot!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Das gemeine Attentat auf die Kaiserin
von Österreich...
LUCHENI (gesprochen):
Va a farti fottere!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Nennen Sie endlich die Hintergründe!
LUCHENI (gesprochen):
Die Hintergründe? Ich habe sie ermordet, weil sie
es wollte.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Reden Sie keinen Unsinn!
LUCHENI (gesprochen):
Sie wollte es. Dafür gibt es ehrenwerte Zeugen.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Was für Zeugen sollen das sein?
LUCHENI (gesprochen):
Ihre Zeitgenossen, bitte sehr! Kommen alle nicht
zur Ruhe... und reden immer noch von... Elisabeth!
DIE TOTEN:
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblasst der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
Elisabeth, Elisabeth – selbst hier bist du von uns getrennt.
Ein Rätsel, das kein Geist errät,
ein Zeichen, das kein Mensch erkennt.
Scheu, schwach – glücklich und verflucht.
Wild, wach – einsam und begehrt.
Arm, reich – was hast du gesucht?
Hart, weich – was hat dich zerstört?
LUCHENI:
Niemand war so stolz wie sie. Sie verachtet euch.
Sie hat gelacht über euch.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Wir dem Tod geweiht...
LUCHENI:
Niemand hat sie je verstanden, nie gab sie die Freiheit
auf. Sie wollte in das Dunkel blicken.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
... Verwöhnt. Bedroht. Sie hat erseht,
was wir verfluchten. Was uns erschrak hat sie
geliebt.
ALLE TOTEN & LUCHENI:
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Die Musik bricht ab. Die Toten erstarren. Effekt. Plötzlich steht der Tod mitten unter den Gestalten. Lucheni bleibt unbeeindruckt. Er spielt den Zeremonienmeister.
LUCHENI (gesprochen):
Attenzione! Seine Majestät der Tod!
Das Thema des Todes klingt auf. Der Tod ist jung, attraktiv und erotisch. Er gleicht einer androgynen Kultfigur aus dem Pop-Bereich und erinnert an eine idealistische Darstellung des jungen Heinrich Heine. Auch der Tod denkt an die Zeit von Elisabeth zurück.
TOD:
Was hat es zu bedeuten: dies alte Lied.
Das mir seit jenen Zeiten die Brust durchglüht?
Engel nennen’s Freude, Teufel nennen’s Pein,
Menschen meinen, es muss Liebe sein.
Mein Auftrag heißt zerstören.
Ich tu es kalt.
Ich hol, die mir gehören, jung oder alt.
Weiß nicht, wie geschehn kann, was es gar nicht gibt –
Doch es stimmt: Ich habe sie geliebt.
Rhythmuswechsel. Der Tod löst die Toten durch eine Geste aus ihrer Starre. Augenblicklich beginnen sie mit den eckigen Bewegungen des Totentanzes.
Nur Lucheni bleibt unbeteiligt. Er blickt wieder über die Zuschauer in die Richtung, aus der die Stimme des Richters kommt. Das Verhör geht weiter.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Sie weichen aus, Lucheni! Liebe,
Tod... Erzählen Sie keine Märchen!
LUCHENI (gesprochen):
Aber wenn ich es ihnen sage!
Sie liebte den Tod. Und er liebte sie.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Zum letzten Mal, Lucheni: Wer waren Ihre Hintermänner?
LUCHENI (gesprochen):
Der Tod! Nur der Tod...
STIMME DES RICHTERS (gesprochen):
Das Motiv, Lucheni!
LUCHENI (gesprochen):
Die Liebe. Un grande amore... Ha, ha, ha...!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
TOD:
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth!
FRAUEN (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
MÄNNER (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
TOD (gleichzeitig):
Elisabeth!
ALLE:
Elisabeth – Elisabeth – Elisabeth!
Blackout. Verwandlung.
1. VOR DEM SCHLOSS POSSENHOFEN
Mai 1850. Die Halle von Schloss Possenhofen am Starnberger See. Im Halbdunkel erkennt man zunächst nur die zwölfjährige Elisabeth. Es ist später Nachmittag. Als sich die Szene aufhellt, sehen wir ihren Vater Herzog Max vor einem Spiegel stehen. Er ist dabei, nach München abzureisen, wo er die Nacht mit einer Schauspielerin verbringen wird.
ELISABETH:
Mama hat heut Abend Gäste,
das wird grauenhaft!
Steife Kragen, dumme Fragen, Heuchelei.
Ach, ich wollt’, ich könnt’ mich drücken
vor dem Klatsch und dem Getu!
Doch die Gouvernante lässt es nicht zu.
Herzog Max zupft sich vor dem Spiegel den Bart. Er prüft den Sitz seiner Krawatte.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Weil es nicht geht!
ELISABETH:
Alles, was dir Spaß macht, mag ich fast noch mehr!
MAX:
In diesem Fall... Es geht nicht!
ELISABETH:
Träumen und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind.
Ich möchte mal so sein wie du.
MAX (gesprochen):
Das Leben ist zu kurz, dass man sich auch nur
eine Stunde langweilen darf. Und Familientreffen hasse ich
wie die Pest.
ELISABETH (gesprochen):
Ich auch...
(gesungen)
Warum darf ich heut nicht wieder
auf den Kirschbaum rauf?
MAX:
Sei froh, dass dir’s nicht so geht wie deiner Schwester...
ELISABETH:
Oder üben, auf dem Seil zu balancier’n.
MAX:
... Helene wird zur Kaiserin dressiert...
ELISABETH:
Oder mit den Brüdern toben
auf der Wiese hinterm Haus.
MAX:
Ich misch mich da nicht ein!
ELISABETH:
Nein, die Gouvernante lässt mich nicht raus!
MAX:
Ich kann dir da nicht helfen.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Vielleicht komm ich morgen nachmittag schon wieder...
ELISABETH:
Nach Ägypten, Spanien oder Katmandu...
MAX (sieht auf seine Taschenuhr):
... Höchste Zeit!
Herzog Max setzt den Hut auf und nimmt seine Zither unter den Arm. Er ist reisefertig.
ELISABETH:
Leben, frei wie ein Zigeuner
mit der Zither unterm Arm.
Nur tun was ich will...
Herzog Max gibt Elisabeth einen flüchtigen Kuss auf die Stirn...
MAX (gesprochen):
Adieu, Sisi...
ELISABETH:
... und woll’n, was ich tu.
MAX (gesprochen):
Sei brav...
Herzog Max geht rasch ab. Elisabeth sieht ihm nach.
ELISABETH:
Ich möchte mal so sein wie du!
Elisabeths Gouvernante tritt auf.
GOUVERNANTE (gesprochen):
Je vous en pris, princesse... Sie müssen sich umziehen...
ELISABETH (gesprochen):
Ich hasse es, mich umzuziehen.
GOUVERNANTE:
Mais, princesse...
ELISABETH (gesprochen):
Ich hasse es, Prinzessin zu sein.
Wenn ich keine Prinzessin wäre, würde ich
zum Zirkus gehen... als Kunstreiterin oder Artistin... Ich
kann jetzt auf dem Seil tanzen. Ich zeig es Ihnen...
GOUVERNANTE (gesprochen):
S’il vous plait! Venez maintenant...
Elisabeth folgt unfreiwillig der Gouvernante.
Beide ab. Verwandlung.
2. AM UFER DES STARNBERGER SEES
Drei Jahre später. Eine Gesellschaft der Herzogin Ludovika. In Gruppen treffen die Gäste ein, überwiegend Verwandte der herzoglichen Familie aus dem ländlichen und mittleren Adel Bayerns. Herzogin Ludovika, die sich für diesen Anlass besonders herausgeputzt hat, ist in die Lektüre eines Briefs vertieft. Neben ihr steht Helene, die kaum atmen kann in ihrem engen Kleid. Die ankommenden Gäste heißen einander willkommen und bilden kleine Gruppen. Herzogin Ludovika hat einen Brief erhalten, den sie aufmerksam liest. Lucheni sieht ihr über die Schulter und liest mit.
LUCHENI (gesprochen):
Elisabeths Heimat. Das ist die liebliche
Helene, Elisabeths ältere Schwester. Und das ist die stolze
Mutter Ludovika. Sie hat einen Brief aus Wien erhalten. Von ihrer
Schwester Sophie, der Mutter des Kaisers von Österreich.
Mhm. Drum musste die ganze Verwandtschaft antanzen!
LUDOVIKA:
Schön, euch alle zu sehen.
Ich möchte, dass ihr wisst:
Bald wird etwas geschehen,
das sehr bedeutsam ist.
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Was macht sie sich so wichtig?
EINE TANTE ELISABETHS:
Was spielt sie sich so auf?
LUDOVIKA:
Unsere Familie steigt empor!
ONKEL & SCHWAGER:
Wär’ da nicht Max!
LUDOVIKA:
Helene hab ich schon lange zu Hohem auserseh’n.
Seht das Mädchen euch an: Gebildet,
klug und schön.
EIN EHEPAAR:
Nicht so schön wie unsre!
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was gibt sie bloß so an?
LUDOVIKA:
Ich werd mit Helen nach Bad Ischl fahr’n!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gesprochen):
Von mir aus!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gesprochen):
Sehr bedeutsam...!
EINE ENTFERNTE VERWANDTE (gesprochen):
Ist das alles?
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Bad Ischl!?
EINE TANTE ELISABETHS (gesprochen):
Und deshalb sind wir hergekommen?
LUDOVIKA:
Dort treffen wir im August Helenes Tante Sophie.
Sie schreibt, sie möchte uns sehn.
Den Grund erratet ihr nie...
EIN ENTFERNTER VERWANDTER:
Das ist doch des Kaisers Mutter!?
EIN ONKEL ELISABETHS:
Dann ist auch der Kaiser dort!
LUDOVIKA:
Sie möchte, dass Franz Joseph sich mit Helene trifft.
(gesprochen)
Meine Helene wird Kaiserin von Österreich!
Die Gäste sind wirklich überrascht, Sie reden aufgeregt durcheinander, während Herzogin Ludovika voll Stolz ihre Helene präsentiert.
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Was!?
DAS EHEPAAR (gesprochen, gleichzeitig):
Helene? Kaiserin? Undenkbar!
SCHWAGER (gesprochen, gleichzeitig):
So ein Glück!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen, gleichzeitig):
Gratulation! Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gesprochen):
Mit dem Vater? Peinlich!
HELENE (gesprochen):
Ich und der Kaiser!? Ich kann’s noch gar nicht glauben.
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gesprochen):
Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Was für Aussichten!
Eine Zirkustrompete erklingt. Mehr und mehr Gäste blicken mit erstaunten Gesichtern zum rückwärtigen Prospekt, hinter dem der Schatten der am Trapez schwingenden Elisabeth zu sehen ist.
EINE TANTE ELISABETHS (sieht zur Balustrade hinauf; gesprochen):
Was hat das zu bedeuten?
DAS EHEPAAR (gesprochen):
Das ist doch Sisi!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gesprochen, gleichzeitig):
Eine Zirkuseinlage!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gesprochen):
Das hat ihr der Vater beigebracht.
EIN GROßNKEL ELISABETHS: (gesprochen, gleichzeitig):
Eine Schande!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gesprochen):
Im Trikot!
MEHRERE VERWANDTE (gesprochen, fast gleichzeitig):
Schockierend!
EINE TANTE ELISABETHS (gesprochen):
Mein Gott, wenn sie da herunter fällt!
GOUVERNANTE (gesprochen, gleichzeitig):
Sie wird sich das Genick brechen.
Endlich wird auch Herzogin Ludovika auf den Auftritt ihrer Tochter aufmerksam...
LUDOVIKA:
Sisi! Hör auf! Sofort!
Doch Elisabeth schwingt immer höher und wilder.
HELENE (gesprochen):
Lenk sie nicht ab, sonst fällt sie!
Die Gäste halten den Atem an. In einem von ihnen erkennen wir nun den Tod. Er streckt die Hand aus nach Elisabeth, als wollte er sie zum Tanz bitten. In diesem Moment wechselt das Schwingen die Richtung, die Seile verdrehen sich, das Trapez mit Elisabeth zerreißt den Prospekt und sie stürzt ab. Ein Aufschrei geht durch die Gäste. Der Tod fängt Elisabeth auf. Die beiden drehen sich wie in Zeitlupe in einem kurzen Totentanz. Darüber fragmentarisch das Liebesthema. Der Tod legt Elisabeth in ihr Bett und tritt ein paar Schritte zurück. Schon hat er sich wieder in einen der Gäste zurückverwandelt. Benommen richtet Elisabeth sich auf. Alle erwachen aus ihrer Erstarrung und stürzen auf Elisabeth zu. Ludovika und Helene sind zuerst bei ihr.
ELISABETH:
Wohin gehst du, schwarzer Prinz?
Warum bleibst du nicht hier?
Ich hab mich in deinen Armen wohlgefühlt.
Und ich spürte eine Sehnsucht
mich von allem zu befrein.
Wie ein schwarzer Vogel
stolz und allein.
Ja, ich weiß, du bist der Tod
und alle fürchten dich.
LUDOVIKA:
Sie phantasiert...
ELISABETH:
Doch ich denk an dich,
was immer ich auch tu.
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Se redet wie ihr Vater!
ELISABETH:
Träume und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind...
GOUVERNANTE::
Sie fiebert!
ELISABETH:
Niemand versteht mich so wie du!
LUDOVIKA (gesprochen):
Ist schon gut, Sisi. Du legst dich jetzt erst mal ins Bett.
Leonard, schicken Sie nach dem Doktor!
Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth ab. Der Kammerdiener Leonard eilt davon. Die Gäste ziehen sich, den Vorfall mit gedämpften Stimmen kommentierend, zurück. Lucheni blickt von Elisabeth zu dem abgehenden Tod und schnalzt mit der Zunge. Die Szene versinkt im Dunkel.
3. AUDIENZSAAL DER HOFBURG IN WIEN
In einem Lichtspot auf der Vorderbühne Lucheni.
LUCHENI (gesprochen):
Wir schreiben das Jahr achtzehnhundertdreiundfünfzig.
In Wien regiert nun der junge Kaiser Franz Joseph.
Seine Herrschaft beruht auf einem stehenden Heer von
Soldaten, einem sitzenden Heer von Beamten, einem
knienden Heer von Priestern und einem schleichenden
Heer von Denunzianten. Und – auf den Ratschlägen seiner
Mutter, von der man sagt, sie sei der einzige Mann bei
Hofe.
Franz Joseph sitzt am Schreibtisch. Neben ihm steht seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Sie legt Franz Joseph Schriftstücke zur Unterschrift vor. Etwas abseits der kaiserliche Generaladjutant Graf Grünne, der Eisenbahnmagnat Baron Hübner und der kaiserliche Polizeiminister Baron Johann Kempen.
SOPHIE (zu Franz Joseph):
Sei streng! Sei kalt!
Sei hart! Sei stark!
SOPHIE, HOFDAME, GRÜNNE,
HÜBNER, KEMPEN (zum Publikum):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Mit einem Stab auf den Boden stoßend, kündigt Graf Grünne einen Besucher an.
GRÜNNE (gesprochen):
Der Kardinalerzbischof!
Kardinalerzbischof Rauscher tritt auf. In der Hand hält er eine Schriftmappe.
RAUSCHER:
Majestät, die heilige Kirche stößt auf Widerstand...
SOPHIE (gesprochen):
Empörend!
RAUSCHER:
Majestät, die Kirche wünscht die Schulaufsicht im Land!
Erzherzogin Sophie nimmt von Kardinalerzbischof Rauscher das Schriftstück entgegen und legt es mit einem Kopfnicken Franz Joseph vor.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt.
RAUSCHER, SOPHIE, GRÜNNE,
HÜBNER, KEMPEN, HOFDAMEN:
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Die Totentanzgruppe und Lucheni führen die Mutter eines zum Tode Verurteilten in den Audienzsaal.. Lucheni äfft den Adjutanten nach:
LUCHENI (gesprochen):
Eine Mutter!
Die Mutter des Verurteilten fällt auf die Knie.
MUTTER:
Majestät, mein Sohn rief „Freiheit" und kam vor Gericht –
SOPHIE (gesprochen):
Erfreulich!
MUTTER:
Gnade! Gnade!
Was auch war, den Tod verdient er nicht!
Franz Joseph steht auf. Er ringt mit sich.
FRANZ JOSEPH:
Wenn ich so könnte, wie ich wollte...
Müsst’ ich nicht das tun, was ich sollte,
dann wär’ ich lieber mitleidsvoll und gut.
SOPHIE (teilweise gleichzeitig):
Sei streng! Sei stark!
Sei kalt! Sei hart!
Sei kalt! Sei hart!
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Abgelehnt!
Die Mutter des Verurteilten schreit verzweifelt auf.
MUTTER:
Nein!!
Sie wird von der Todestanzgruppe von der Bühne gezogen. Franz Joseph setzt seine Schreibarbeit fort.
SOPHIE (gesprochen):
Was liegt noch an?
GRÜNNE (gesprochen):
Die Besprechung der politischen Lage.
Ein livrierter Lakai hat inzwischen eine Karte vom östlichen Mittelmeer entrollt. Fürst Schwarzenberg erläutert die gegenwärtige Krisensituation.
SCHWARZENBERG:
Majestät, der Krimkrieg droht sich ernsthaft auszuweiten.
Dass wir Russland diesmal beisteh’n
ist nicht zu vermeiden.
Russland danken wir die Rettung
vor der Revolution.
Außerdem: ein Stück Türkei
erhalten wir als Lohn!
Franz Joseph sieht ratlos seine Mutter an. Erzherzogin Sophie zuckt die Schultern. Franz Joseph wendet sich an seinen Adjutanten.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Wie beurteilen Sie die Lage, Graf Grünne?
GRÜNNE:
Stehn wir zu Russland,
grollt uns England.
Gehen wir mit England,
zürnt uns Russland.
In jedem Fall – ein Bündnis wär’ fatal.
SCHWARZENBERG (gesprochen):
Wir müssen uns entscheiden!
SOPHIE (gesprochen):
Der Kaiser von Österreich muss gar nichts!
GRÜNNE (gesprochen):
Ich darf die Majestät untertänigst daran erinnern,
dass die Kutsche nach Bad Ischl wartet.
SOPHIE: (gesprochen):
Kriege sollen andere führen.
Das glückliche Österreich heiratet...
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig, seine Prinzipien rekapitulierend):
Sich nie zu früh entscheiden,
Ja und Nein vermeiden,
Habsburgs Vorteil sehn
und Opfern entgehn.
Erzherzogin Sophie wirft Franz Joseph einen aufmunternden Blick zu. Er hebt sich und geht mit ihr ab, gefolgt von Graf Grünne. Alle anderen bilden, sich verbeugend eine Reihe... Blackout. Verwandlung.
4. BAD ISCHL
August 1853. Vor der Villa Eltz in Bad Ischl ist eine Kutsche vorgefahren, aus der Ludovika, Helene, Elisabeth samt Gouvernanten, Zofen etc. aussteigen. Kutscher und Diener schleppen Koffer. Sophie kommt in Begleitung der Gräfin Esterházy-Liechtenstein die Treppe herunter und begrüßt Ludovika und Helene. Von Elisabeth nimmt sie kaum Notiz. Lucheni betritt als erster die Szene. Er mimt einen Gepäckträger, einen Koffer in der einen, eine Hutschachtel in der anderen Hand.
LUCHENI (gesprochen):
August 1853. Bad Ischl. Der Kaiser von
Österreich trifft eine principessa aus dem Bauernadel. Warum?
Magari... le mamme! Die Mütter wollen es so. Sie haben ein
Rendezvous geplant, weitab von Wien am Fuße der Alpen...
A, perque non?
(gesungen)
Ein Sommer in Bad Ischl ist immer eine Reise wert,
und das Herz so hoffnungsvoll.
Sophie hat ihrer Schwester die Sache gut erklärt,
doch sie läuft nicht, wie sie soll –
Lucheni mit dem Gepäck ab..
SOPHIE:
Warum kommt ihr erst jetzt?
LUDOVIKA:
Ein Wetter hielt uns auf!
Wir brauchen jetzt ein wenig Ruhe...
SOPHIE:
Wo denkst du hin?
Der Kaiser erwartet euch um vier –
LUDOVIKA:
Was?
HELENE:
Schon?
SOPHIE:
Wie sieht Helene aus?
LUDOVIKA:
Max lässt sich entschuldigen... Doch
ich hab’ Sisi mitgebracht.
SOPHIE:
Das Kleid ist ganz unmöglich!
Scheußlich die Frisur!
HELENE:
Ich zieh mich um!
SOPHIE:
Das geht nicht mehr!
(gesprochen)
Einen Kaiser lässt man nicht warten!
Man begibt sich auf die Terrasse vor der Villa.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Franz Joseph tritt auf. Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth begrüßen einander förmlich. Man setzt sich in die Gartenstühle, auf der einen Seite Erzherzogin Sophie und Franz Joseph, auf der anderen Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth. Lucheni bietet gefüllte Teetassen an, die die Damen in die Hand nehmen. Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie unterhalten sich unhörbar. Franz Joseph ist die Situation peinlich. Helene sitzt wie auf einem Folterstuhl und Elisabeth langweilt sich.
LUCHENI:
Die Mütter sind gesprächig,
der junge Kaiser schweigt.
Die Heiratskandidatin schwitzt.
Die Sache wird genierlich,
weil jetzt der Kaiser zeigt,
dass er Eigensinn besitzt.
SOPHIE:
Nun, Franz Joseph, sag rundheraus,
wie sie dir gefällt –
FRANZ JOSEPH:
Wer?
SOPHIE:
Deine reizende Cousine –
FRANZ JOSEPH:
Wie eine frische Mandel,
die grad zerspringt.
Erzherzogin Sophie wirft Herzogin Ludovika einen bedeutungsvollen Blick zu.
LUDOVIKA:
Das ist ja beinahe Poesie!
FRANZ JOSEPH:
Sie hat so liebe, sanfte Augen... und Lippen
rot wie Erdbeeren.
SOPHIE:
Und ein ordentliches Becken!
LUDOVIKA:
So?
FRANZ JOSEPH:
Auf dem Ball heut abend tanz ich...
SOPHIE:
Ja?
FRANZ JOSEPH:
nur mit ihr!
LUDOVIKA:
Er mag sie!
SOPHIE:
Nun, dann lad’ sie ein...
(gesprochen, zu Helene)
Komm her!
(zu Franz Joseph)
Geh zu ihr! Nimm sie in den Arm!
Franz Joseph erhebt sich, geht auf Helene zu. Diese nimmt lächelnd Haltung an und reicht Franz Joseph die Hand. Er sieht sie jedoch gar nicht an, sondern steuert an Helene vorbei direkt auf Elisabeth zu, die ihn verdutzt anstaunt.
LUDOVIKA:
Wie?
SOPHIE:
Die?
Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie blicken sich entsetzt an.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika und Helene sind entsetzt aufgesprungen. Franz Joseph hält Elisabeth bei den Händen und himmelt sie an.
ELISABETH:
Warum ich?
FRANZ JOSEPH:
Weil ich dich mag.
ELISABETH:
Doch meine Schwester ist viel schöner.
LUDOVIKA:
Er nimmt eine meiner Töchter.
SOPHIE:
Doch die Falsche.
HELENE:
Drei Jahre probiert – französisch parliert,
Manieren einstudiert.
HELENE, SOPHIE & LUDIVIKA:
Drei Jahre Ermahnung, Erziehung und Planung.
Umsonst! Alles umsonst!
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE, LUDOVIKA, LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
LUCHENI:
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Alle ab. Lichtwechsel. Verwandlung.
5. ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Am 13. März 1854 trifft der junge Kaiser Franz Joseph seine Braut Elisabeth in Possenhofen. Zum ersten mal sind die Verlobten alleine.
ELISABETH:
Niemand wird so glücklich sein wie wir.
Du und ich tun nur, was uns gefällt.
Bei der Arbeit sitz ich immer neben dir
und danach reit ich mit dir durch Wald und Wiesen.
Ich wird mich in deinen Augen sehn.
Ich reis’ mit dir um die ganze Welt.
Will mit dir auf hohen Bergen stehn,
Hand in Hand und barfuss über weiße Strände gehen.
Grenzenlos weit, schrankenlos frei.
FRANZ JOSEPH:
Eins musst du wissen,
ein Kaiser ist nie für sich allein.
Mit mir zu leben, wird oft nicht einfach für dich sein.
ELISABETH:
Was andre wichtig finden,
zählt nicht für mich.
FRANZ JOSEPH:
Vieles wird sich ändern...
ELISABETH:
Doch ich hab’ ja dich!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Nichts ist schwer,
solang du bei mir bist.
Wenn ich dich hab’, gibt es nichts,
was unerträglich ist.
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
Sie fröstelt, er legt ihr seinen Militärmantel über die Schultern.
FRANZ JOSEPH:
Im Joch der vielen Pflichten
geht mancher Traum verlor’n...
ELISABETH:
Doch unser Traum bleibt nah!
FRANZ JOSEPH:
Wir sind nicht wie die andern
zum Glücklichsein gebor’n.
ELISABETH:
Doch füreinander da!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Du wirst das Leben bald
durch meine Augen sehn.
Und jeden Tag mich ein wenig
mehr verstehn...
Inzwischen hat Franz Joseph ein Kollier in den Händen, das er Elisabeth um den Hals hängt. Das Orchester übernimmt die Chorusmelodie.
FRANZ JOSEPH:
Hier nimm diese Kette... als Zeichen,
dass du nun bei mir bist.
ELISABETH:
Wie kostbar!
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich... Ich brauch dich!
ELISABETH:
Wie schwer die Kette ist...
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich. Ich brauch dich... Lass mich nie allein!
Langsam versinkt die Szene im Dunkel. Verwandlung.
6. AUGUSTINERKIRCHE IN WIEN
Orgelklang. Zehntausend Kerzen erhellen die festlich geschmückte Kirche. Gleich wird das Brautpaar kommen. Groteske Hochzeitsgäste – Österreichs Hochadel und Würdenträger aus ganz Europa – ziehen in die Kirche ein. Der Orgelklang schwillt an. Kardinalerzbischof Rauscher kommt hinter dem Altar vor. Das Brautpaar, geleitet durch Erzherzogin Sophie und Herzogin Ludovika, betritt die Kirche und geht durch den Mittelgang zu zwei Betschemeln vor dem Altar. Elisabeth und Franz Joseph knien vor dem Kardinalerzbischof nieder. Indem sich der Kirchenraum füllt, stimmen mehr und mehr Hochzeitsgäste in den Choral ein.
HOCHZEITSGÄSTE:
Alle Fragen sind gestellt
und alle Phrasen eingeübt.
Wir sind die letzten einer Welt,
aus der es keinen Ausweg gibt.
Denn alle Sünden sind gewagt.
Die Tugenden sind einstudiert,
und alle Flüche sind gesagt,
und alle Segen revidiert.
Die Hässlichkeit empört uns nicht.
Die Schönheit scheint uns längst banal.
Die gute Tat belehrt uns nicht.
Die böse Tat ist uns egal.
Denn alle Wunder sind geschehn
und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn,
uns alle Klänge totgehört.
Alle Fragen sind gestellt,
und alle Chancen sind verschenkt.
Wir sind die Letzten einer Welt,
die stets an ihren Selbstmord denkt.
Und alles, alles was passiert,
hilft uns, die Zeit zu überstehn.
Weil jedes Leid uns delektiert,
sehn wir dich gerne untergehn
Elisabeth...
Elisabeth.
Das Licht hat sich inzwischen ganz auf Elisabeth konzentriert.
RAUSCHER (gesprochen):
... den heiligen Bund der Ehe zu schließen
mit seiner apostolischen Majestät Franz
Joseph von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von
Böhmen, Slawonien und Venetien, Beschirmer von Jerusalem.
Wenn das Euer Wille ist, so antwortet mit Ja!
Ein Augenblick atemlose Stille.
ELISABETH (nach einem Blick zu ihrer Mutter):
Ja!
Drohend hallen dumpfe Glockentöne und der Klang von Böllerschüssen von draußen herein. Das Brautpaar wechselt die Ringe. Die Szene versinkt im Dunkel. In einer dämmrigen Lichtinsel auf der Hinterbühne sieht man den Tod am Strang einer unsichtbaren Riesenglocke ziehen.
Verwandlung.
7. BALLSAAL IM SCHLOSS SCHÖNBRUNN
Vor die Kirchenszene fällt ein Prospekt, der ein überdimensioniertes Orchestrion zeigt. Nach Art eines Adventskalenders besteht er aus lauter Klapptüren, die sich nach und nach öffnen und so immer vollständiger den Blick in den dahinter liegenden illuminierten Ballsaal freigeben, in dem die Hochzeitsgäste und das Brautpaar tanzen...
Aus der ersten Türe der Orchestrions tritt Herzog Max, aus einer Zweiten gleich darauf die Erzherzogin Sophie. Unabhängig voneinander äußern beide ihre Unzufriedenheit mit der Hochzeit.
MAX (gesprochen):
Diese Hochzeit ist Ihr Werk, Frau
Schwägerin. Sind Sie jetzt zufrieden?
SOPHIE (gesprochen):
Nein. Aber Ihnen gratuliere ich,
Herr Brautvater.
MAX (gesprochen):
Gratulieren Sie mir nicht.
(gesungen)
Liebe macht dumm!
Sisi gibt für ihn
auf, was das Leben verschönt.
Wien bringt sie um.
Sie sollte fliehn,
ehe sie sich dran gewöhnt.
SOPHIE:
Liebe macht blind!
Franz weiß nicht, was er tut.
Er hat auf mich nicht gehört.
MAX:
Warum musste es der sein?
SOPHIE:
Seh ich das Kind,
packt mich die Wut.
Sie hat meine Pläne zerstört.
Der Kleinen fehlt fast alles...
MAX (gleichzeitig):
Dem Kaiser fehlt fast alles...
SOPHIE:
... was eine Kaiserin braucht.
MAX:
... was meine Sisi braucht.
SOPHIE:
Ich seh sie...
MAX & SOPHIE:
... und denk bei mir:
SOPHIE:
Er passt nicht zu ihr!
MAX:
Sie passt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er passt nicht zu ihr.
MAX:
Sie passt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er passt nicht...
MAX & SOPHIE:
... er passt nicht, er passt nicht zu ihr!
Lichtwechsel. In Gruppen stehen die Hochzeitsgäste am Rande der Tanzfläche, auf der weiter getanzt wird. Sie reden über das Thema des Tages – die junge Braut und die neue Kaiserin. Erzherzogin Sophie und Herzog Max verlieren sich in der Gesellschaft.
ARISTOKRATEN:
Was für eine schöne Trauung!
Der Rauscher hat zu lang geredet.
ARISTOKRATINNEN:
Wirklich süß!
Rührend naiv! Und weich wie Wachs! Redet nicht viel.
ARISTOKRATEN:
Wie gefällt ihnen die neue Kaiserin?
Aussehen tut sie nett.
ARISTOKRATINNEN:
Neu am Hof,
einfach zu führn. Mit der haben wir leichtes Spiel!
ARISTOKRATEN:
Ihr Stammbaum hat zwar Fehler...
Das woll’n wir übersehn!
Ein Kind noch!
Es gibt schlechte Omen...
ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist freundlich...
ARISTOKRATEN:
... In der Schatzkammer...
ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist schüchtern!
ARISTOKRATEN:
... fiel die Krone zu Boden...
ARISTOKRATINNEN:
Sie ist naiv!
ARISTOKRATINNEN:
Und beim Aussteigen aus der Kutsche...
ARISTOKRATEN:
Etwas linkisch!
ARISTOKRATINNEN:
... verlor die junge Kaiserin...
ARISTOKRATEN:
Sie tut sich...
ARISTOKRATINNEN:
... beinah ihr neues Diadem.
ARISTOKRATEN:
... noch schwer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe):
Es ist fast wie im Märchen:
Ein Kind wird Kaiserin!
So was gibt es sonst nicht mehr!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe, gleichzeitig):
Rot geweinte Augen! Ungeschickt und brav!
So entzückend hilflos wie ein Schaf.
Hat kein Gewicht, ist ein kleines Licht.
ARISTOKRATINNEN (erste Gruppe):
Sie passt gut hierher!
ARISTOKRATEN (erste Gruppe):
Sie apsst gut hierher!
ARISTOKRATEN (zweite Gruppe):
Sie passt nicht hierher!
ARISTOKRATINNEN (zweite Gruppe):
Sie passt nicht hierher!
ARISTOKRATEN & ARISTOKRATINNEN:
Sie passt gut...
Sie passt nicht,
sie passt gut / nicht hierher!
Lichtwechsel. Inzwischen hat sich das Orchestrion ganz aufgelöst. Der Blick geht in den strahlend hellen Ballsaal. Franz Joseph und Elisabeth treten auf. Sie eröffnen den Hochzeitswalzer. Die Hochzeitsgäste beteiligen sich am Tanz. Die Musik wird jedoch zunehmend dissonanter. Immer mehr Gäste verwandeln sich zurück in die bleichen Gestalten des Totentanzes. Der Tod hat den Ballsaal betreten. Er blickt von der Treppe, die in den Saal führt, auf die Tanzenden und beobachtet das Kaiserpaar. Als Elisabeth ihn bemerkt, verbeugt er sich grüßend. Elisabeth lächelt dem Tod verstohlen zu. Der Ballsaal versinkt im Halbdunkel. Nur Elisabeth tanzt eine Zeit lang weiter wie in Trance, bevor sie sich in Franz Josephs Arme flüchtet. Der Tod kommt die Treppe herunter.
TOD:
Es ist ein altes Thema, doch neu für mich.
Zwei, die dieselbe lieben – nämlich dich.
Du hast dich entschieden: Ich hab’ dich verpasst.
Bin auf deiner Hochzeit nur der Gast.
Du hast dich abgewendet. Doch nur zum Schein.
Du willst ihm treu sein, doch du lädst mich ein.
Noch in seinen Armen lächelst du mir zu.
Und wohin das führ’n wird, weißt auch du –
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Die Zeit wird alt und müde, der Wein wird schal.
Die Luft ist schwül und stickig im Spiegelsaal.
Unsichtbare Augen, sehn uns beiden zu.
Alle warten auf das Rendezvous.
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Und so wart ich Dunkel und schau zu dir hin
als der große Verlierer. Doch ich weiß, ich gewinn!
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Uh-uh-uh...
TOD:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
ANDERE BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Wien am Ende. Zeitwende.
Alle Fragen sind gestellt.
BALLGÄSTE & TOD:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir / dir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
Tanz ich / tanzt er allein...
TOD:
... mit dir.
Der Tod geht ab. Lichtwechsel. Das Kaiserpaar ist scheinbar alleine. Elisabeth berührt mit zaghafter Zärtlichkeit Franz Josephs Wange.
Aus dem Dunkel von beiden Seiten Volk auf, gaffende Gestalten aus allen Bevölkerungsschichten. Mit einer Geste fordert Lucheni das Volk auf, sich dem Paar zu nähern.
Franz Joseph und Elisabeth umarmen sich. Ihr Liebesthema klingt auf. Die Gaffer recken die Hälse. Lucheni ahmt einen Jahrmarktsschreier nach. Mit einer einladenden Handbewegung ermutigt er die Gaffer, jedes Taktgefühl aufzugeben.
LUCHENI (gesprochen):
Treten Sie näher, meine Herrschaften. Werden
Sie Zeuge, wie der Kaiser von Österreich seine Braut zur
Gattin macht. Der Vollzug der Ehe ist die Voraussetzung
für die Geburt des Thronfolgers. Deshalb, verehrtes
Publikum, ist diese Umarmung von öffentlichem Interesse...!
Elisabeth löst sich aus der Umarmung. Erschrocken blickt sie in die gaffenden Gesichter. Hastig zieht sie Franz Joseph weg, um an anderer Stelle mit ihm ungestört zu sein. Doch da stehen schon andere Gaffer. Daraufhin verzichtet sie auf weitere Zärtlichkeiten.
ELISABETH:
Man begafft mich, als wär’ ich ein selt’nes Tier.
FRANZ JOSEPH:
Daran musst du dich gewöhnen,
wenn du lebst mit mir.
ELISABETH:
Wenn du bloß kein Kaiser wärst,
könnt ich glücklich sein mit dir.
Elisabeth drängt Franz Joseph zu gehen. Die Gaffer folgen feixend. Lucheni sieht dem Brautpaar nach.
LUCHENI:
Das Vöglein ist in den Käfig geflogen, die Gittertür
wird zugemacht. Kann man’s dem Volk verdenken,
dass es das Tierchen besichtigen will? Eine Rarität, in
Freiheit geboren und noch nicht dressiert!
Lichtwechsel. Verwandlung.
8. ELISABETHS GEMÄCHER IM SCHLOSS LAXENBURG
Es ist früher Morgen. Die Erzherzogin stattet ihrer Schwiegertochter einen nicht angekündigten Besuch in Laxenburg ab. Begleitet von einer Hofdame und einem Trupp von Zofen, rauscht Erzherzogin Sophie in das Appartement der Kaiserin. Elisabeths oberste Hofmeisterin, die Gräfin Esterházy-Liechtenstein, kommt Erzherzogin Sophie mit unterwürfiger Miene entgegen.
SOPHIE (gesprochen):
Wo ist die Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN (gesprochen):
Sie schläft noch, Hoheit!
SOPHIE (gesprochen):
Dann wird es höchste Zeit, sie aufzuwecken!
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein verschwindet. Erzherzogin Sophie erläutert ihrer Begleiterin den Zweck des Besuches.
SOPHIE:
Die Kaiserin ist noch sehr jung.
Sie braucht noch manche Förderung.
Zeit, dass sie lernt, was sich gehört.
Zeit, dass sie jemand lehrt, sich zu fügen.
Sie ist verbauert ganz und gar.
HOFDAMEN:
Ganz recht!
SOPHIE:
Nimmt ihre Pflichten hier nicht wahr.
HOFDAMEN:
Sehr schlecht!
SOPHIE:
Hat das Gehorchen nicht geübt, ist in
sich selbst verliebt und nicht streng mit sich.
Eine Kaiserin muss glänzen
im Bewusstsein ihrer Pflichten.
Muss die Dynastie ergänzen
und verzichten.
HOFDAME:
In der Tat!
Elisabeth und die Gräfin Esterházy-Liechtenstein kommen aus dem Schlafzimmer. Elisabeth trägt nur ein Morgenrock über dem Nachthemd. Sie ist noch ziemlich verschlafen.
ELISABETH (gesprochen):
Was ist denn los?
SOPHIE:
Mein Kind, man schläft hier nicht so lang.
ELISABETH:
Warum?
SOPHIE:
Ich dulde keinen Müßiggang!
ELISABETH:
Ich war so müde...
SOPHIE:
Um fünf Uhr früh beginnt der Tag,
pünktlich beim Glockenschlag jeden Morgen.
ELISABETH:
Aber Franz Joseph hat mit gesagt,
ich sollte mich heut mal ausruhn.
SOPHIE:
Ausruhn wovon? Ich hab ihn gefragt.
Ich weiß, dass du dich heut nacht geschont hast.
ELISABETH:
Das kann nicht sein...
SOPHIE:
Das sagte ich auch –
ELISABETH:
... Er würde mich nicht an Sie verraten!
SOPHIE:
Vor mir hält mein Sohn gar nichts geheim.
ELISABETH:
Das ist nicht wahr!
SOPHIE:
Dann frag ihn doch selber...
Gibt ihrer Hofdame ein Zeichen. Diese geht ab, um Franz Joseph zu holen.
ELISABETH:
Das werd’ ich –
SOPHIE:
Er kam mit mir her!
Sie bemüht sich, sachlich zu bleiben.
Zeig mir mal deine Zähne her!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Aus gutem Grund.
ELISABETH:
Die Zähne?
SOPHIE:
Ja! Ist das so schwer?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Öffnen sie den Mund!
Elisabeth zeigt Erzherzogin Sophie die Zähne.
SOPHIE:
Die sind zu gelb, das darf nicht sein.
ELISABETH:
Bin ich ein Pferd? –
SOPHIE:
O nein! Jedoch ein Vorbild –
ELISABETH:
Sie kritisieren an mir nur herum.
Was ich auch will, ist verboten –
SOPHIE:
Ich will, dass du zur Kaiserin wirst.
Du bist noch nicht gezähmt und gezogen!
ELISABETH:
Ich glaub’, Sie sind nur neidisch auf mich...
SOPHIE:
Neidisch auf dich?!
Das ist wirklich komisch!
Franz Joseph und die Hofdame betreten das Zimmer.
ELISABETH:
Ich will... –
SOPHIE:
Lern’ erst mal bescheiden zu sein.
ELISABETH:
Ich möchte... –
SOPHIE:
Nein!
ELISABETH:
Hilf mir, Franz Joseph! Sieh, wie deine Mutter mich quält!
HOFDAME & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muss glänzen
im Bewusstsein ihrer Pflichten.
Muss die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE (gleichzeitig):
Überlass sie mir Sohn!
Ich erzieh, ich erzieh sie schon. Überlass sie mir,
mein Sohn! Ich erzieh sie schon.
ELISABETH (gleichzeitig):
Sie quält mich, sie sperrt mich ein!
Hilf mir, lass mich nicht allein!
FRANZ JOSEPH:
Ich muss ein Weltreich lenken,
an meine Völker denken.
Bitte sträub’ dich nicht.
Sich fügen ist Pflicht.
Vergiss den Stolz, steh mir zur Seite.
Es wäre besser für uns beide, wenn du dem Rat meiner
Mutter folgst...
SOPHIE:
Sei streng! Sei stark!
ELISABETH (gesprochen):
Also, lässt du mich im Stich...
Sie dreht sich abrupt um und geht allein zur Rampe. Franz Joseph macht Anstalten, ihr zu folgen, wird aber von Erzherzogin Sophie zurückgehalten. Lichtwechsel. Elisabeth allein vor einem Prospekt.
ELISABETH:
Ich will nicht gehorsam,
gezähmt und gezogen sein.
Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
denn ich gehör nur mir.
Ich möchte vom Drahtseil herabsehn auf diese Welt.
Ich möchte aufs Eis gehen und selbst sehn,
wie lang’s mich hält.
Was geht es dich an, was ich riskier!?
Ich gehör nur mir.
Willst du mich belehren
dann zwingst du mich bloß,
zu fliehn vor der lästigen Pflicht.
Willst du mich bekehren, dann reiß ich mich los
und flieg wie ein Vogel ins Licht.
Und will ich die Sterne, dann finde ich selbst dorthin.
Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin.
Ich wehr mich, bevor ich mich verlier!
Denn ich gehör nur mir.
Ich will nicht mit Fragen und Wünschen belastet sein,
vom Saum bis zum Kragen von Blicken betastet sein.
Ich flieh’, wenn ich fremde Augen spür’.
Denn ich gehör nur mir.
Und willst du mich finden, dann halt mich nicht fest.
Ich geb’ meine Freiheit nicht her.
Und willst du mich binden, verlass ich dein Nest
und tauch wie ein Vogel ins Meer.
Ich warte auf Freunde und suche Geborgenheit.
Ich teile die Freude, ich teile die Traurigkeit.
Doch verlang nicht mein Leben,
das kann ich dir nicht geben.
Denn ich gehör nur mir.
Nur mir!
Verwandlung.
9. STATIONEN EINER EHE
Die Bühne verwandelt sich in ein Papiertheater, wie es den Kindern des 19. Jahrhunderts als Spielzeug diente. Lucheni zieht sich Glitzerfrack und Zylinder an.
LUCHENI:
Den Tod verdrießt es sehr, Elisabeth am Wiener
Hof zu sehn. Schließlich ist er abgeblitzt, man kann seinen
Groll verstehn. Drum: wenn trotz Milch und Honig ihr das
Leben hier nicht schmeckt, dann könnt’ es durchaus
möglich sein, dass er dahinter steckt.
Luchenis Verwandlung ist beendet.
Im ersten Ehejahr lässt sie der Kaiser viel allein. Was tut’s?
Ihr Papagei hat immer für sie Zeit.
Im zweiten Ehejahr kriegt sie ihr erstes Töchterlein und
wird von ihren Mutterpflichten prompt befreit.
Lucheni präsentiert ein Schild mit der Aufschrift: März 1855. An anderer Stelle der Bühne sieht man, wie Elisabeth in Sophies Appartement gelaufen kommt, in dem Hofdamen die dorthin geschaffte Wiege mit Elisabeths erstem Kind Sophie umstehen.
ELISABETH:
Wo ist meine Kleine?
SOPHIE:
Ich nehme mich ihrer an!
ELISABETH:
Ich will mein Kind wiederhaben!
SOPHIE:
Du siehst es dann und wann.
ELISABETH:
Ohne mich zu fragen, tauften Sie es Sophie. –
Ausgerechnet Ihren Namen!
SOPHIE:
Ich kümmre mich um sie!
An anderer Stelle der Bühne: Franz Joseph an seinem Schreibtisch, neben ihm der Adjutant. Als Elisabeth sich quer über die Bühne hinweg an ihn wendet, unterbricht er seine Arbeit mit erstauntem Blick.
ELISABETH:
Franz Joseph, deine Mutter
quält mich in einem fort!
Jetzt hat sie mein Kind gestohlen –
sprich ein klares Wort!
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Sie ist ja selbst noch fast ein Kind –
Sie kann kein Kind erziehn!
FRANZ JOSEPH:
Beruhig dich nur, mein Engel! Mama weiß,
was sie tut! Hat mit Kindern viel Erfahrung, und sie
meint es gut.
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Bedarf noch selbst der starken Hand – Am Kaiserhof von Wien.
ELISABETH:
Ich versteh, du stellst dich...
FRANZ JOSEPH:
Ich will keinen Streit...
ELISABETH:
... gegen mich!
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Versteh mich doch. Ich kann nicht anders.
Gräfin Esterházy-Liechtenstein führt die sich sträubende Elisabeth mit sanfter Gewalt aus dem Appartement der Erzherzogin.
ELISABETH (gesprochen):
Mein Kind! Ich will mein Kind!
Die Szene verschwindet. Das Licht konzentriert sich wieder auf Lucheni.
LUCHENI:
Im dritten Ehejahr kommt wieder eine Tochter
an. Die Mutter heult umsonst – das Kind wird requiriert.
Und langsam wird ihr klar, dass sie nur was erreichen kann,
wenn man von ihr was will und sie den Preis diktiert.
Lucheni präsentiert ein Schild mit der Aufschrift Oktober 1856. Verwandlung: Das kaiserliche Speisezimmer, in dem Elisabeth und Franz Joseph schweigend essen.
FRANZ JOSEPH:
Auch deine Schönheit kann uns politisch nützlich sein.
Komm mit nach Ungarn, setz’ deinen Zauber für mich ein.
ELISABETH:
Gib mir die Kinder wieder, die man mir nahm.
FRANZ JOSEPH:
Setz meine Gegner matt durch deinen Charme.
ELISABETH:
Ich reis’ nur mit den Kindern. Hol sie zuerst zurück!
Dann will ich dich gern begleiten im Dienst der Politik.
FRANZ JOSEPH:
Die Reise ist kein Ausflug,
die Kinder sind noch zu klein.
ELISABETH:
Solang sie nicht bei mir sind, heißt meine Antwort
“nein“.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Gott, ich begreif dich nicht. Aber bitte,
du sollst deinen Willen haben.
Verwandlung. Das Licht konzentriert sich wieder auf Lucheni. Dieser zeigt ein Schild mit der Aufschrift Mai 1857
LUCHENI:
So reist im vierten Ehejahr samt den zwei Kindern
das Kaiserpaar nach Ungarn, wo jemand auf sie wartet.
Sie wissen schon wer? – Oder...?
Verwandlung. Der Schlossplatz von Debrezin am Abend. Franz Joseph und Elisabeth begrüßen eine Gruppe ungarischer Magnaten, unter ihnen die Grafen Stephan Károlyi, Elemer Batthyány und Gyula Andrássy. Diese kommentieren den Auftritt Elisabeths mit gedämpften Stimmen.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Die Kaiserin ist schön.
KÁROLYI (gesprochen):
Wie steht sie zu Ungarn?
BATTHYÁYNY (gesprochen):
Sie liebt alles, was ihre Schwiegermutter hasst.
KÁROLYI (gesprochen):
Dann wird sie uns unterstützen.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Sie sieht traurig aus.
BATTHÁYANY (gesprochen):
Ihre Kinder sind krank. Die kleine
Sophie soll hohes Fieber haben.
ANDRÁSSY (gesprochen):
Die Sorge macht sie noch schöner.
Einer der Magnaten dreht sich um und ist der Tod. Der Totentanzrhythmus setzt ein. Der Tod fixiert Elisabeth, tritt vor sie und schlägt den Mantel zurück. Darunter trägt er die Leiche der zweijährigen Sophie.
ELISABETH:
Nein!!
Der Tod legt die Kinderleiche vor die fassungslose Elisabeth. Dann tritt er zurück und fordert Elisabeth mit einer lasziven Geste auf, ihm zu folgen. Sie schwankt und hält sich, den Blick starr auf den Tod gerichtet, an Franz Joseph fest. Freeze.
ELISABETH:
Nein! Nicht mein Kind! Nein! Das kann nicht sein.
Tod! – Mörder! – Nie wird ich dir verzeihn!!
TOD:
Weißt du noch, wie wir erbebten,
als wir zwei im Tanze schwebten?
Du brauchst mich. Ja, du brauchst mich.
Gib doch zu, dass du mich mehr liebst,
als den Mann an deiner Seite.
Auch wenn du ihm scheinbar mehr gibst,
du ziehst ihn in die Nacht.
Das Licht hat sich unterdessen ganz auf den Tod konzentriert. Die Gruppe im Hintergrund verschwindet im Dunkel.
Die Schatten werden länger.
Es wird Abend, eh’ dein Tag begann.
Die Schatten werden länger.
Diese Welt zerfällt, halt dich nicht fest daran!
Blackout. Verwandlung.
10. EIN WIENER KAFFEEHAUS
An anderer Stelle der Bühne sehen wir Lucheni als Kaffeehausober auf dem Weg von der Küche zur Gaststube
LUCHENI (gesprochen):
Ma que cazzo voi! Die Welt geht unter, indubbiamente.
Bei Hof hat man das noch nicht bemerkt. Aber in
den Kaffeehäusern von Wien weiß das jeder.
Die Szene wird hell. An Kaffeehaustischen sitzen verschiedenen Intellektuelle. Sie lesen Zeitung, rauchen Zigarren, schreiben, spielen Schach, langweilen und unterhalten sich. Lucheni serviert und nimmt Bestellungen auf.
PROFESSOR:
Was steht im Feuilleton?
JOURNALIST:
Wie schmeckt heut die Bouillon?
STUDENT:
Spielt irgendwer mit mir Skat?
BOHEMIEN:
Mein Gott, ist mir wieder fad!
POET:
Unsre junge Kaiserin weint den ganzen Tag.
Sie isst nicht mehr, seit sie ihr Kind verlor.
BOHEMIEN:
Noch eine Melange!
LUCHENI:
Noch eine Melange.
CAFÉGAST 1:
Schwanger ist sie wohl auch!
STUDENT 2:
Sie zeigt nicht mehr den Bauch.
LUCHENI & POET:
Zu lang entbehren wir schon den Erben für den Thron.
BOHEMIEN 2:
In Zirkus Renz war sie neulich zu Gast.
CAFÉGAST 2:
Der Mutter des Kaisers hat’s gar nicht gepasst.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
LUCHENI (gesprochen):
Schwätzer! Wissen alles und nichts. Hocken da
per ingannare il tempo. Schlagen die Zeit tot. Tagaus,
tagein.
POET:
Wieder ein Jahr vorbei!
BOHEMIEN:
Das ist mir einerlei!
PROFESSOR (in der Zeitung lesend):
Wir haben ein Konkordat!
STUDENT:
Wer spielt heut mit mir Skat?
JOURNALIST:
Unser junger Kaiser zeigt nicht viel Geschick.
Jedenfalls nicht in der Politik.
BOHEMIEN:
Noch ein Likör!
CAFÉGAST 1:
Der letzte Krieg um die Krim hat uns neutralisiert.
STUDENT 2:
Und jetzt ist Österreich politisch ganz isoliert.
PROFESSOR:
Frankreich, England, Russland
stehn in einer Front.
Und jetzt gibt es Krieg im Piemont.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
STUDENT:
Diesmal war es ein Sohn, wer hätt’ es geglaubt.
POET:
Und auch ihn hat man gleich der Mutter geraubt.
JOURNALIST:
Ich hab erfahr’n, sie mag die Magyarn!
PROFESSOR & STUDENTEN:
Denkt sie liberal?
BOHEMIEN & POETEN:
Ist sie radikal?
ALLE (außer Lucheni):
Sie ist eine seltsame Frau!
No, und wenn schon, gut für die Apokalypse.
LUCHENI:
Als Rudolf zur Welt kam,
hatte die Mutter im Wochenbett
eine schreckliche Vision.
Sie sah rote Fahnen,
Massen von Menschen am Ballhausplatz
mit Fäusten sie bedrohn.
Sie sah Barrikaden
und darauf den eigenen Sohn
als Führer der Revolution!
POET:
Herrlich exzentrisch!
BOHEMIEN:
Schön dekadent.
STUDENT & PROFESSOR:
Österreich braucht jetzt ein Parlament!
ALLE:
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
ERSTE GRUPPE:
Weil uns fad ist, weil’s net schad is...
ZWEITE GRUPPE (gleichzeitig):
Stieren, schnofeln, plauschen,
plaudern, rauchen, pofeln, raunzen, zaudern, lesen, dösen
beim Kaffee!
DRITTE GRUPPE (gleichzeitig):
Weil uns fad is, desolat is...
weil’s net schad is, weil, was g’maht is
und parat is, g’schieht ja eh!
Lichtwechsel und Verwandlung.
11. VORZIMMER DER ERZHERZOGLICHEN GEMÄCHER IM SCHLOSS SCHÖNBRUNN
Elisabeths Hofdame ist gerade dabei, mit dem kleinen Rudolf die Gemächer der Erzherzogin Sophie zu verlassen, als diese auftritt und sie mit scharfer Stimme zurückruft. Hinter ihr tritt Major Graf Gondrecourt auf, in der Hand eine Uniformjacke in Kindergröße.
SOPHIE (gesprochen):
Halt! Wohin?
HOFDAME:
Die Kaiserin möchte mit ihrem Sohn spazieren gehen.
Sie sagt, sie hat Rudolf drei Wochen lang nicht mehr gesehn.
Erzherzogin Sophie fordert die Hofdame mit einer Geste auf, Rudolf in sein Zimmer zurückzubringen.
SOPHIE:
Der Kronprinz bleibt hier. Die Besuche
sind nicht gut für ihn. Er ist schon ganz verweichlicht. Dem
Kind fehlt jede Disziplin. Damit er zum Mann wird, erzieht
ihn jetzt Graf Gondrecourt. Mit Drill und Pistolen, mit
Liegestütz und Wasserkur.
Graf Gondrecourt nickt zustimmend.
HOFDAME (gesprochen):
Aber er ist doch noch ein Kind!
SOPHIE:
Kind oder nicht. Für den, der regiert, zählt
nur Pflicht. Wen Gott auserwählt Herr zu sein, dem darf man
seine Schwächen nicht verzeihn.
Die Hofdame gehorcht. Graf Gondrecourt packt Rudolf und zwingt ihn in die mitgebrachte Uniformjacke. Der kleine Rudolf wehrt sich.
RUDOLF:
Warum darf ich denn nie zu Mamma?
HOFDAME (gesprochen):
Es geht nicht.
SOPHIE:
Du wirst Soldat. Wer zum Herrschen
bestimmt ist darf kein Mutterkind sein.
RUDOLF (gesprochen):
Bitte!
SOPHIE:
Nein!
Die Hofdame geht ab, um Elisabeth zu berichten.
SOPHIE (gesprochen):
Die Wünsche der Kaiserin
sind irrelevant... und Sie richten sich weiterhin nach meinen
Anweisungen.
Sophie gibt Graf Gondrecourt ein Zeichen. Er führt Rudolf fort. Es wird dunkel. Szenenwechsel.
12. ELISABETHS SCHLAFZIMMER
Eine Nacht in der Hofburg im Jahre 1865. Franz Joseph steht im Hausmantel vor Elisabeths Schlafzimmertür, klopft, versucht einzutreten. Die Tür ist verschlossen. Im Schlafzimmer sitzt Elisabeth an ihrem Sekretär und schreibt. Sie hört Franz Joseph, macht aber keine Anstalten, ihn einzulassen.
FRANZ JOSEPH:
Elisabeth? Mach auf, mein Engel.
Ich, dein Mann, sehn mich nach dir.
Lass mich nicht warten!
Hinter mir liegt ein Tag voll Problemen.
Frankreich beginnt mir offen zu drohn.
Skandale, die kein Ende nehmen.
Staatsbankrott, Krieg und Revolution.
Eine Selbstmordwelle, neue Typhusfälle.
Hilf mir einzuschlafen
so wie ein Schiff im sicher’n Hafen,
von deiner Zärtlichkeit bewacht
und ohne Wunsch für eine Nacht.
Er kann sich nicht erklären, warum sie ihm nicht öffnet. Er lauscht an der Tür, bevor er einen neuen Versuch macht...
Nun öffne mir, lass mich nicht warten.
Sei die Frau, die mich versteht, Elisabeth!
Elisabeth hat aufgehört zu schreiben. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl in Richtung zur Tür um.
ELISABETH:
Warum gehst du nicht zu deiner Mutter?
Sie war dir auch sonst immer lieber...
FRANZ JOSEPH:
Engel!
ELISABETH:
Verschon mich!
FRANZ JOSEPH:
Was hab ich getan?
ELISABETH:
Du lässt zu, dass Rudolf gequält wird.
FRANZ JOSEPH:
Rudolf? Gequält?
ELISABETH:
Ich hab alles erfahr’n. Deine Mutter gab ihn
ihrem Folterschergen.
FRANZ JOSEPH:
Sie lässt ihn wie mich zum Kaiser erziehn. Er ist
noch zu weich.
ELISABETH:
Ihr wollt ihn zerstör’n. Doch ich werd mir das
nicht länger ansehen! Entweder sie oder ich!
Sie öffnet die Tür und hält Franz Joseph das Papier mit ihrem Ultimatum hin. Franz Joseph ergreift es zögernd und sieht es verständnislos an.
ELISABETH (gesprochen):
Ich habe ein förmliches Ultimatum aufgesetzt. Wenn du
mich nicht verlieren willst, erfüll’ es! Ich möchte selbst
über die Erziehung meiner Kinder bestimmen. Und von
nun an will ich entscheiden, was ich tue und lasse. Lies
mein Schreiben und entscheide dich: Für deine Mutter
oder mich! Und jetzt lass mich allein.
Elisabeth schließt heftig die Tür. Franz Joseph betrachtet benommen das Schriftstück, wendet sich ab und geht ins Dunkel. Im Schlafzimmer steht auf einmal der Tod. Elisabeth erschrickt, als sie ihn sieht.
TOD:
Elisabeth, sei nicht verzweifelt.
Ruh dich aus in meinem Arm.
Ich will dich trösten.
Flieh, und du wirst frei sein
und alles Kämpfen wird vorbei sein.
Ich führ dich fort aus Raum und Zeit
in eine bessre Wirklichkeit.
Der Tod zieht Elisabeth an sich. Sie lässt es geschehen.
Elisabeth! Elisabeth! Ich liebe dich...
Abrupt wehrt sich Elisabeth gegen die Versuchung und reißt sich los.
ELISABETH:
Nein! Ich möchte leben.
Ich bin zu jung um aufzugeben.
Ich weiß, ich kann mich selbst befrein.
Jetzt setz ich meine Schönheit ein.
Geh! Ich will dich nicht!
Ich brauch dich nicht! Geh!
Mit einer entschiedenen Geste weist Elisabeth den Tod ab. Dieser weicht zurück und verschwindet im Nichts.
Langsam geht das Licht aus. Verwandlung.
13. MARKTPLATZ IN WIEN
Ein früher Herbstmorgen. Zwischen geschlossenen Marktbuden warten Arbeiter, Hausfrauen und Dienstboten auf die Öffnung des Milchladens. Die Tür der Milchausgabe wird endlich einen Spalt breit geöffnet und eine Hand hängt ein offenbar häufig benutztes Schild an einen Nagel. Sofort schließt sich die Tür wieder. Die Wartenden werden unruhig. Lucheni liest vor, was auf dem Schild steht.
FRAUEN:
Wann gibt’s endlich Milch?
Warum wird uns nicht aufgemacht?
LUCHENI:
Heute keine Lieferung!
MÄNNER:
Wieder umsonst.
Die Kanne leer, wie so oft.
Umsonst gefrorn und gehofft, die halbe Nacht.
MENGE:
Jemand belügt uns.
Jemand betrügt uns.
Jemand hält uns für dumm.
Wir müssen hungern,
andere lungern
in den Palästen rum...
Schluss!
Lucheni hetzt die Menge auf.
LUCHENI:
Wollt ihr wissen, wer die Milch euch nimmt?
MENGE:
Sag wer?
LUCHENI:
Die ganze Milch ist nur für sie bestimmt!
MENGE:
Für wen?
LUCHENI:
Für eure Kaiserin! Sie braucht sie für...
MENGE:
Für was?
LUCHENI:
... ihr Bad!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
FRAUEN:
Was für ein Skandal!
LUCHENI:
Ein Skandal!
FRAUEN:
Das hätt’ ich nie von ihr geglaubt!
LUCHENI:
Das hättet ihr nie von ihr geglaubt!
MÄNNER:
Kinder sterben, weil’s keine Milch gibt für sie...
LUCHENI:
Keine Milch für die Kinder!
MÄNNER:
... während sie badet darin...
LUCHENI:
Sie badet darin!
MÄNNER:
... und uns beraubt!
MENGE:
Was nützt das Klagen,
man muss verjagen,
die uns ins Unglück führ’n!
LUCHENI:
Verjagt, die euch ins Unglück führ’n!
MENGE:
Weg mit den Drohnen,
die uns nicht schonen –
Lasst sie die Volkswut spür’n!
LUCHENI:
Lass sie die Volkswut spür’n!
MENGE:
Schluss!
LUCHENI:
Wollt ihr hören, was die Kaiserin quält?
MENGE:
Sag, was?
LUCHENI:
Wenn sie in ihrem Kamm die Haare zählt,...
MENGE:
Wie das?
LUCHENI:
... weint sie vor Kummer,
denn sie trauert um...
MENGE:
Um was?
LUCHENI:
... ihr Haar!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
MENGE:
Zeit, sich zu wehren!
LUCHENI:
Höchste Zeit!
MENGE:
Wir woll’n sie lehren...
LUCHENI:
Wir woll’n sie lehren!
MENGE:
... dass man uns nicht verlacht.
LUCHENI:
Lasst euch nicht mehr verhöhnen!
MENGE:
Brot für die Armen!
Recht statt Erbarmen!
Nieder mit jeder Macht!
LUCHENI:
Freiheit für das Volk!
MENGE & LUCHENI:
Brüder seid bereit,
es ist soweit!
Schluss mit dem Leid! Sagt ja!
Die neue Zeit ist da!
Lichtwechsel. Verwandlung.
14. ELISABETHS ANKLEIDEZIMMER
Spiegel, Frisiertisch, offene Kleiderschränke. Im Hintergrund ein großer Paravant, hinter dem Elisabeth badet und Toilette macht. Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein gibt der Friseuse und den Kammerzofen Anweisungen. Zwei der Zofen tragen Milchkannen hinter den Paravant. Eine weitere Zofe bereitet die Badetücher vor, die Friseuse mischt vor einer Anrichte das Shampoo für die bevorstehende Haarwäsche der Kaiserin.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Die Kaiserin ist schon im Bad.
Senkt euren Blick, wenn ihr euch naht!
Und gießt behutsam und gemach
heiße Milch nach und nach in die Wanne.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein klatscht in die Hände.
Sind ihre Tücher parfümiert?
ERSTE ZOFE (präsentiert die Badetücher):
Und gekreppt!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Ist das Shampoo schon angerührt?
FRISEUSE (präsentiert das Shampoo):
Nach Rezept: Zuerst den Cognac,
dann das Ei – auf jedes Glas jeweils drei...
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
So verlangt sie es!
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
ZOFEN (gleichzeitig):
Schön soll sie schreiten, Steinen verbreiten.
Schön vor den Leuten. Schön für den Ehemann.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN (gesprochen):
Auch die Erzherzogin findet das sehr vernünftig...
Zofen und Friseuse eilen zwischen Paravant und den Beistelltischen etc. hin und her.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Das Erdbeermus ist für die Haut –
ZOFEN (zweite Gruppe):
Ich fang schon an, sie zu massier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Hier für den Teint das Sauerkraut.
ZOFEN (zweite Gruppe):
Ich muss die Brauen retouschier’n.
Hier kommt das Kalbfleisch fürs Gesicht.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Leg es in dicker Schicht auf die Wange.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Das Rosenwasser – wunderbar!
ZOFEN (zweite Gruppe):
Sechs Stunden muss man sie frisier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Das macht die Augen hell und klar.
ZOFEN (zweite Gruppe):
Sie lässt sich täglich manikür’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Der Fleischsaft, sei sie mittags trinkt,
muss bitte unbedingt vom Filet sein.
ZOFEN (zweite Gruppe):
So bleibt sie rank und schlank.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ZOFEN (erste Gruppe):
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
ZOFEN (gleichzeitig):
Schön soll sie schreiten, Steinen verbreiten.
Schön vor den Leuten. Schön für den Ehemann.
Alle sehen zu einer vom Publikum nicht einsehbaren Tür, durch die Franz Joseph überraschend das Ankleidezimmer betritt.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN
(gesprochen):
Der Kaiser!
ERSTE ZOFE:
Was? Der Kaiser?
ZWEITE ZOFE:
Hier - bei der Kaiserin?
ERSTE ZOFE:
Um diese Zeit?
ANDERE ZOFEN:
Seltsam, noch nie kam der Kaiser um diese Zeit!
Alle verbeugen sich.
FRANZ JOSEPH (gesprochen):
Wo ist die Kaiserin? Ich muss sie sprechen!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN
(gesprochen):
Sie hat ihre Toilette noch nicht beendet, Majestät.
Aber sie können mit ihr sprechen. Sie kann Sie hören.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein Gibt den Zofen ein Zeichen, sich zu entfernen. Zofen und Gräfin ab. Die Friseuse befindet sich noch hinterm Paravant.
FRANZ JOSEPH:
Ich will dir nur sagen,
ich geh auf dein Schreiben ein.
Ich kann nicht ertragen,
von dir nicht geliebt zu sein.
Was immer du willst, ich geb’ es dir,
bevor ich dich verlier.
Ab jetzt sollst es du sein,
die Rudolf zum Mann erzieht.
Anstatt meiner Mutter
bestimmst du, was hier geschieht.
Sie steht nicht mehr zwischen dir und mir,
denn ich gehör nur dir.
Ich herrsche und lenke,
bezwing das Gefühl.
Gefühl ist verboten für mich.
Doch wenn ich an dich denke,
schweigt jedes Kalkül.
Ich werde mir untreu für dich!
Elisabeth tritt hinter dem Paravant hervor. Strahlend, selbstbewusst, aufrecht: die schönste Frau der Welt! Im Spiegel erscheint die Vision des Todes.
ELISABETH:
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
den ich gehör nur mir.
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
STIMME DES TODES (teilweise gleichzeitig):
Was heut das Auge sieht,
ist morgen schon Vergangenheit.
Wohin dein Blick auch flieht,
auf meiner Seite ist die Zeit.
ELISABETH:
Du musst mir nichts geben,
nur lass mir mein Leben!
Elisabeth wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor sie triumphierend auf Franz Joseph zugeht. In diesem Augenblick sehen wir den Tod im Spiegel.
ELISABETH:
Denn ich gehör...
TOD:
Du gehörst...
ELISABETH & TOD:
... nur mir.
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig):
Elisabeth!
Ihre Überraschung verbergend, wendet sich Elisabeth vom Spiegel ab und nickt Franz Jos
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