Elisabeth - Libretto (Wiener Fassung)
ERSTER AKT
PROLOG
Die nächtliche Welt der Toten und Träumer – der Friedhof der Vergangenheit. Zerfetzte Fahnen, welke Blumen, bemooste Steine und modernde Erinnerung. Ein Erhängter baumelt an einem Seil – Luigi Lucheni, Elisabeths Attentäter.
Aus dem Nichts klingt die Stimme des Richters. Lucheni kommt auf die Bühne und schneidet seinen toten Körper vom Seil.
STIMME DES RICHTERS:
Aber warum, Lucheni? Warum haben
Sie die Kaiserin Elisabeth ermordet?
LUCHENI:
Alla malora!
STIMME DES RICHTERS:
Antworten Sie, Luigi Lucheni!
Aus dem Bühnenboden taucht die versunkene Welt des alten Habsburgerreiches wieder auf. Zwischen Relikten der Vergangenheit, zunächst nur schemenhaft, das Ensemble (bis auf Elisabeth und den Tod). Es bildet ein Tableau von Gestalten des 19. Jahrhunderts, die sich geisterhaft aus dem Dunkel des Vergessens ins Licht der Erinnerung bewegen.
LUCHENI:
Warum, warum... Nacht für Nacht dieselbe Frage,
seit hundert Jahren! Was soll die Fragerei? Merda.
Ich bin tot!
STIMME DES RICHTERS:
Das gemeine Attentat auf die Kaiserin
von Österreich...
LUCHENI:
Va a farti fottere!
STIMME DES RICHTERS:
Nennen Sie endlich die Hintergründe!
LUCHENI:
Die Hintergründe? Ich habe sie ermordet, weil sie
es wollte.
STIMME DES RICHTERS:
Reden Sie keinen Unsinn!
LUCHENI:
Sie wollte es. Dafür gibt es ehrenwerte Zeugen.
STIMME DES RICHTERS:
Was für Zeugen sollen das sein?
LUCHENI:
Ihre Zeitgenossen, bitte sehr! Kommen alle nicht
zur Ruhe... und reden immer noch von... Elisabeth!
DIE TOTEN:
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblaßt der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
SOPHIE & LUDOVIKA:
Wir haben es gut gemeint mit Sisi.
Uns trifft keine Schuld!
Das Kind war so sensibel...
Wir dachten uns, die trifft es gut,
doch sie traf es übel.
Sie hat zuviel verlangt vom Leben.
Ihr fehlten Demut und Geduld.
Uns trifft keine Schuld!
Keine Schuld!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig):
Es blieb mir nichts erspart im Leben.
Es war nicht leicht mit ihr.
Doch hätt’s nicht diese Frau gegeben,
wär’ ich zugrund’ gegangen hier.
RUDOLF ALS KIND (gleichzeitig):
Allein... So allein...
Immer allein!
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblaßt der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
MAX:
Niemand war so scheu wie sie.
FRANZ JOSEPH:
Jeder Blick tat ihr weh.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Wir dem Tod geweiht...
SOPHIE & LUDOVIKA:
Stets hielt sie sich den Fächer ins Gesicht oder ihren Schirm.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Schatten am Abgrund der Zeit.
RUDOLF ALS MANN:
Sie und ich – wir waren uns so ähnlich.
MAX:
Nie gab sie die Freiheit auf.
RUDOLF ALS MANN (teilweise gleichzeitig):
Wir hätten uns so gut verstanden.
RUDOLF ALS KIND:
Sie ließ mich allein.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Verwöhnt! Bedroht!
FRANZ JOSEPH, RUDOLF, MAX, SOPHIE & LUDOVIKA:
Ein Schatten lag auf ihrer Seele,
auf ihrem Leben lag ein Fluch!
ALLE TOTEN:
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth...
Die Musik bricht ab. Das Thema des Todes erklingt. Die Toten erstarren. Plötzlich steht der Tod mitten unter ihnen. Lucheni bleibt unbeeindruckt. Er spielt den Zermonienmeister.
LUCHENI:
Attenzione! Seine Majestät der Tod!
Der Tod ist jung, attraktiv und erotisch. Er gleicht einem androgynen Popstar und ähnelt dem jungen Heinrich Heine. Auch er denkt an Elisabeth zurück.
TOD:
Was hat es zu bedeuten: dies alte Lied.
Das mir seit jenen Zeiten die Brust durchglüht?
Engel nennen’s Freude, Teufel nennen’s Pein,
Menschen meinen, es muß Liebe sein.
Mein Auftrag heißt zerstören.
Ich tu es kalt.
Ich hol, die mir gehören, jung oder alt.
Weiß nicht, wie geschehn kann, was es gar nicht gibt –
Doch es stimmt: Ich habe sie geliebt.
Rhythmuswechsel. Der Tod löst die Toten durch eine Geste aus ihrer Starre. Augenblicklich beginnen sie mit den eckigen Bewegungen des Totentanzes.
Nur Lucheni bleibt unbeteiligt. Er blickt wieder über die Zuschauer in die Richtung, aus der die Stimme des Richters kommt. Das Verhör geht weiter.
STIMME DES RICHTERS:
Sie weichen aus, Lucheni! Liebe,
Tod... Erzählen Sie keine Märchen!
LUCHENI:
Perche non? Sie liebte Heinrich Heine!
STIMME DES RICHTERS:
Zum letzten Mal, Lucheni: Wer waren Ihre Hintermänner?
LUCHENI:
Der Tod! Nur der Tod...
STIMME DES RICHTERS:
Das Motiv, Lucheni!
LUCHENI:
Die Liebe. Un grande amore... Ha, ha, ha...!
CHOR (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
Blackout. Verwandlung.
1. HALLE VON POSSENHOFEN
Juni 1853. Die Halle von Schloß Possenhofen am Starnberger See. Es ist später Nachmittag. Als sich die Szene aufhellt, sehen wir Elisabeths Vater Herzog Max. Er macht sich stadtfein, denn er ist dabei, nach München abzureisen, wo er die Nacht mit einer Schauspielerin verbringen wird. Die 15jährige Elisabeth ist ihm nachgelaufen, denn sie will mitgenommen werden.
ELISABETH:
Mama hat heut Abend Gäste,
das wird grauenhaft!
All die Onkel und die Tanten kommen her –
Und ich wollt’, ich könnt’ mich drücken
vor dem Klatsch und dem Getu!
Doch die Gouvernante läßt es nicht zu.
Herzog Max zupft sich vor dem Spiegel den Bart. Er prüft den Sitz seiner Krawatte.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Weil es nicht geht!
ELISABETH:
Alles, was dir Spaß macht, mag ich fast noch mehr!
MAX:
In diesem Fall... Es geht nicht!
ELISABETH:
Träumen und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind.
Ich möchte mal so sein wie du.
MAX:
Das Leben ist zu kurz, daß man sich auch nur
eine Stunde langweilen darf. Und Familientreffen hasse ich
wie die Pest.
ELISABETH:
Ich auch...
Warum darf ich heut nicht wieder
auf den Kirschbaum rauf?
MAX:
Sei froh, daß dir’s nicht so geht wie deiner Schwester...
ELISABETH:
Oder üben, auf dem Seil zu balancier’n.
MAX:
... Helene wird zur Kaiserin dressiert...
ELISABETH:
Oder mit den Brüdern toben
auf der Wiese hinterm Haus.
MAX:
Ich misch mich da nicht ein!
ELISABETH:
Nein, die Gouvernante läßt mich nicht raus!
MAX:
Ich kann dir da nicht helfen.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Vielleicht komm ich morgen nachmittag schon wieder...
ELISABETH:
Nach Ägypten, Spanien oder Katmandu...
MAX (sieht auf seine Taschenuhr):
... Höchste Zeit!
Herzog Max setzt den Hut auf und nimmt seine Zither unter den Arm. Er ist reisefertig.
ELISABETH:
Leben, frei wie ein Zigeuner
mit der Zither unterm Arm.
Nur tun was ich will...
Herzog Max gibt Elisabeth einen flüchtigen Kuß auf die Stirn...
MAX:
Adieu, Sisi...
ELISABETH:
... und woll’n, was ich tu.
MAX:
Sei brav...
Herzog Max geht rasch ab. Elisabeth sieht ihm nach.
ELISABETH:
Ich möchte mal so sein wie du!
Elisabeths Gouvernante tritt auf.
GOUVERNANTE:
Je vous en pris, princesse... Sie müssen sich umziehen...
ELISABETH:
Ich hasse es, mich umzuziehen. Ich hasse es,
Prinzessin zu sein.
GOUVERNANTE:
Mais, princesse...
ELISABETH:
Wenn ich keine Prinzessin wäre, würde ich
zum Zirkus gehen... als Kunstreiterin oder Artistin... Ich
kann jetzt auf dem Seil tanzen. Und erst meine
Trapeznummer! Die sollten Sie sehen, Madame...
GOUVERNANTE:
S’il vous plait! Venez maintenant...
Elisabeth folgt unfreiwillig der Gouvernante.
Beide ab. Verwandlung.
2. AM UFER DES STARNBERGER SEES
Eine Gesellschaft der Herzogin Ludovika am Abend desselben Tages. In Gruppen treffen die Gäste ein, überwiegend Verwandte der herzöglichen Familie aus dem ländlichen und mittleren Adel Bayerns. Herzogin Ludovika, die sich für diesen Anlaß besonders herausgeputzt hat, begrüßt sie. Neben ihr steht Helene, die kaum atmen kann in ihrem engen Kleid. Die ankommenden Gäste heißen einander willkommen und bilden kleine Gruppen. Schließlich bittet Herzogin Ludovika um Ruhe und hält eine kleine Ansprache.
LUDOVIKA:
Schön, euch alle zu sehen.
Ich möchte, daß ihr wißt:
Bald wird etwas geschehen,
das sehr bedeutsam ist.
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Was macht sie sich so wichtig?
EINE TANTE ELISABETHS:
Was spielt sie sich so auf?
LUDOVIKA:
Unsere Familie steigt empor!
ZWEI BRÜDER LUDOVIKAS:
Helene hab ich schon lange zu Hohem auserseh’n.
Seht das Mädchen euch an: Gebildet,
klug und schön.
EIN EHEPAAR:
Nicht so schön wie unsre!
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was gibt sie bloß so an?
LUDOVIKA:
Ich werd mit Nene nach Bad Ischl fahr’n!
EINE NICHTE LUDOVIKAS:
Von mir aus!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Sehr bedeutsam...!
EINE ENTFERNTE VERWANDTE:
Ist das alles?
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Bad Ischl!?
EINE TANTE ELISABETHS:
Und deshalb sind wir hergekommen?
LUDOVIKA:
Dort treffen wir im August Helenes Tante Sophie.
Sie schreibt, sie möchte uns sehn.
Den Grund erratet ihr nie...
EIN ENTFERNTER VERWANDTER:
Das ist doch des Kaisers Mutter!?
EIN ONKEL ELISABETHS:
Dann ist auch der Kaiser dort!
LUDOVIKA:
Sie möchte, daß Franz Joseph sich mit Helene trifft.
Meine Helene wird Kaiserin von Österreich!
Die Gäste sind wirklich überrascht, Sie reden aufgeregt durcheinander, während Herzogin Ludovika voll Stolz ihre Helene präsentiert.
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was!?
DAS EHEPAAR (gleichzeitig):
Helene? Kaiserin? Undenkbar!
ZWEI BRÜDER LUDOVIKAS (gleichzeitig):
So ein Glück!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gleichzeitig):
Gratulation! Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Mit dem Vater? Peinlich!
EINE TANTE ELISABETHS (gleichzeitig):
Dann werden Herzogs bald zu fein sein für unsereins...
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Was für Aussichten!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gleichzeitig):
Das heißt noch nicht, daß er sie nimmt!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gleichzeitig):
Kann nicht schaden, so eine Verbindung...!
Eine Zirkustrompete erklingt. Mehr und mehr Gäste blicken mit erstaunten Gesichtern zum rückwärtigen Prospekt, hinter dem der Schatten der am Trapez schwingenden Elisabeth zu sehen ist.
EINE TANTE ELISABETHS (sieht zur Balustrade hinauf):
Was hat das zu bedeuten?
DAS EHEPAAR:
Das ist doch Sisi!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Eine Zirkuseinlage!
EIN SCHWAGER ELISABETHS:
Das hat ihr der Vater beigebracht.
EIN GROßNKEL ELISABETHS: (gleichzeitig):
Völlig verwahrlost, das Kind! Eine Schande!
EINE NICHTE LUDOVIKAS:
Im Trikot!
MEHRERE VERWANDTE (fast gleichzeitig):
Schockierend!
EINE TANTE ELISABETHS:
Mein Gott, wenn sie da herunter fällt!
EIN ONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Sie wird sich das Genick brechen.
DAS EHEPAAR (gleichzeitig):
Um Himmelswillen!
Endlich wird auch Herzogin Ludovika auf den Auftritt ihrer Tochter aufmerksam...
LUDOVIKA:
Sisi! Hör auf! Sofort!
Doch Elisabeth schwingt immer höher und wilder.
EIN ONKEL ELISABETHS:
Lenk sie nicht ab, sonst fällt sie!
In diesem Moment wechselt das Schwingen die Richtung, die Seile verdrehen sich, das Trapez mit Elisabeth zerreißt den Prospekt und sie stürzt ab.
Ein Aufschrei geht durch die Gäste. Der Tod fängt Elisabeth auf und trägt sie durch den Riß im Prospekt auf die Mittelbühne. Die beiden drehen sich wie in Zeitlupe in einem kurzen Todestanz. Erstmals erklingt das Liebesthema. Lucheni kommentiert von außerhalb die Szene...
LUCHENI:
Per Dio! Es ist Liebe... e cotto!
Der Tod legt Elisabeth in ihr Bett und tritt ein paar Schritte zurück, während Herzogin Ludovika und einige ihrer Gäste herbeieilen. Benommen richtet sich Elisabeth auf.
LUDOVIKA:
Um Himmelswillen!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (durcheinander):
Sie lebt! Ein wahres Wunder, die dem Sturz.
Sie hätte sich den Hals brechen können!
Was für ein Schreck!
LUDOVIKA:
Mein Gott, Sisi! Bist du verletzt?
HELENE:
Ihr ist nichts passiert!
ELISABETH:
Mama, wenn ich älter werde,
such mir keinen Mann.
EIN ONKEL ELISABETHS:
Sie phantasiert...
ELISABETH:
Alles, was mich glücklich macht,
kann ich allein.
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Se redet wie ihr Vater!
ELISABETH:
Träume und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind...
EINE TANTE ELISABETHS:
Sie fiebert!
ELISABETH:
Ich möchte nie gebunden sein!
LUDOVIKA:
Ist schon gut, Sisi. Du legst dich jetzt erst mal ins Bett.
Leonard, schicken Sie nach dem Doktor!
Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth ab. Der Kammerdiener Leonard eilt davon. Die Gäste ziehen sich, den Vorfall mit gedämpften Stimmen kommentierend, zurück. Die Szene versinkt im Dunkel.
3. AUDIENZSAAL DER HOFBURG IN WIEN
In einem Lichtspot auf der Vorderbühne Lucheni. Er hat eine Zeitung gelesen, die er nun zusammenfaltet.
LUCHENI:
Wir schreiben das Jahr achtzehnhundertdreiundfünfzig.
In Wien regiert nun der junge Kaiser Franz Joseph.
Seine Herrschaft beruht auf einem stehenden Heer von
Soldaten, einem sitzenden Heer von Beamten, einem
knienden Heer von Priestern und einem schleichenden
Heer von Denunzianten. Und – auf den Ratschlägen seiner
Mutter, von der man sagt, sie sei der einzige Mann bei
Hofe.
Lichtwechsel. Franz Joseph sitzt am Schreibtisch. Neben ihm steht seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Sie legt Franz Joseph Schriftstücke zur Unterschrift vor. Etwas abseits der kaiserliche Generaladjutant Graf Grünne.
SOPHIE (zu Franz Joseph):
Sei streng! Sei kalt!
Sei hart! Sei stark!
(zum Publikum)
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Mit einem Stab auf den Boden stoßend, kündigt Graf Grünne einen Besucher an.
GRÜNNE:
Der Kardinalerzbischof!
Kardinalerzbischof Rauscher tritt auf. In der Hand hält er eine Schriftmappe.
RAUSCHER:
Majestät, die heilige Kirche stößt auf Widerstand...
SOPHIE:
Empörend!
RAUSCHER:
Majestät, die Kirche wünscht die Schulaufsicht im Land!
Erzherzogin Sophie nimmt von Kardinalerzbischof Rauscher die Mappe, studiert das vorbereitete Schriftstück und legt es mit einem Kopfnicken Franz Joseph vor.
FRANZ JOSEPH:
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt.
RAUSCHER, SOPHIE, GRÜNNE:
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Inzwischen ist eine ganze Gruppe von Besuchern erschienen. Kardinalerzbischof Rauscher tritt zurück und Graf Grünne kündigt Fürst Schwarzenberg an.
GRÜNNE:
Der Herr Minister!
SCHWARZENBERG:
Majestät, das Volk will uns Minister kontrollier’n.
SOPHIE:
Wie lachhaft!
SCHWARZENBERG:
Ich schlag’ vor, die Staatsverfassung schnellstens zu kassier’n.
Fürst Schwarzenberg erhält ein zustimmendes Nicken und zurück. Nacheinander treten weitere Besucher vor, jeweils angekündigt durch ein Klopfen mit dem Audjutantenstab.
BARON KEMPEN:
Majestät, das Spitzelwesen ist noch nicht perfekt.
SOPHIE:
Verbessern!
BARON HÜBNER:
Majestät, erlauben Sie mein Eisenbahnprojekt!
FRANZ JOSEPH:
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt zwei von Erzherzogin Sophie zugereichte Dekrete.
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (seine Prinzipien rekapitulierend):
Nur an das Ganze denken,
kein Gefühl verschenken.
Emsig, brav und schlicht:
Ein Diener der Pflicht.
LUCHENI (den Adjutanten nachäffend):
Eine Mutter!
Die Todesengel bringen die Mutter eines Verurteilten herein. Sie fällt vor Franz Joseph auf die Knie.
MUTTER:
Majestät, mein Sohn rief „Freiheit" und kam vor Gericht –
SOPHIE:
Erfreulich!
MUTTER:
Gnade! Gnade!
Was auch war, den Tod verdient er nicht!
Franz Joseph steht auf. Er ringt mit sich.
FRANZ JOSEPH:
Wenn ich so könnte, wie ich wollte...
Müßt’ ich nicht das tun, was ich sollte,
dann wär’ ich lieber mitleidsvoll und gut.
SOPHIE (teilweise gleichzeitig):
Sei streng! Sei stark!
Sei kalt! Sei hart!
Sei kalt! Sei hart!
FRANZ JOSEPH:
Abgelehnt!
Die Mutter des Verurteilten schreit verzweifelt auf. Sie wird von den Todesengeln von der Bühne gezogen. Franz Joseph setzt seine Schreibarbeit fort.
SOPHIE:
Was liegt noch an?
GRÜNNE:
Die Besprechung der politischen Lage.
Ein livrierter Lakai hat inzwischen eine Karte vom östlichen Mittelmeer entrollt. Fürst Schwarzenberg erläutert die gegenwärtige Krisensituation.
SCHWARZENBERG:
Majestät, der Krimkrieg droht sich ernsthaft auszuweiten.
Daß wir Rußland diesmal beisteh’n
ist nicht zu vermeiden.
Rußland danken wir die Rettung
vor der Revolution.
Außerdem: ein Stück Türkei
erhalten wir als Lohn!
Franz Joseph sieht ratlos seine Mutter an. Erzherzogin Sophie zuckt die Schultern. Franz Joseph wendet sich an seinen Adjutanten.
FRANZ JOSEPH:
Wie beurteilen Sie die Lage, Graf Grünne?
GRÜNNE:
Stehn wir zu Rußland,
grollt uns England.
Gehen wir mit England,
zürnt uns Rußland.
In jedem Fall – ein Bündnis wär’ fatal.
SCHWARZENBERG:
Wir müssen uns entscheiden!
SOPHIE:
Der Kaiser von Österreich muß gar nichts!
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
ALLE (außer Franz Joseph und Sophie):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig, seine Prinzipien rekapitulierend):
Sich nie zu früh entscheiden,
Ja und Nein vermeiden,
Habsburgs Vorteil sehn
und Opfern entgehn.
SOPHIE (gleichzeitig):
Sei glatt! Sei falsch! Sei schlau!
GRÜNNE:
Ich darf Majestät untertänigst daran erinnern,
daß die Kutsche nach Bad Ischl wartet.
SOPHIE:
Meine Herren, die Audienz ist beendet!
SCHWARZENBERG:
Aber... Was soll ich nun dem russischen Botschafter sagen?
SOPHIE:
Kriege sollen andere führen.
Das glückliche Österreich heiratet...
Erzherzogin Sophie wirft Franz Joseph einen aufmunternden Blick zu. Er hebt sich und geht mit ihr ab, gefolgt von Graf Grünne. Alle anderen bilden, sich verbeugend eine Reihe...
SCHWARZENBERG, RAUSCHER, BARON KEMPEN,
BARON HÜBNER, LAKAI:
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Blackout. Verwandlung.
4. BAD ISCHL
Lucheni mimt eine Gepäckträger.
LUCHENI:
Vor der Villa Eltz in Bad Ischl!
Ein Sommer in Bad Ischl ist immer eine Reise wert,
und das Herz so hoffnungsvoll.
Sophie hat ihrer Schwester die Sache gut erklärt,
doch sie läuft nicht, wie sie soll –
Eine Kutsche fährt vor, aus der Herzogin Ludovika, Helene, Elisabeth und die Gouvernante aussteigen. Von der anderen Seite tritt Erzherzogin Sophie auf, begleitet von Gräfin Esterházy-Liechtenstein. Dienerschaft kümmert sich um das Gepäck.
SOPHIE:
Warum kommt ihr erst jetzt?
LUDOVIKA:
Ein Wetter hielt uns auf!
Wir brauchen jetzt ein wenig Ruhe...
SOPHIE:
Wo denkst du hin?
Der Kaiser erwartet euch um vier –
LUDOVIKA:
Was?
HELENE:
Schon?
SOPHIE:
Wie sieht Helene aus?
LUDOVIKA:
Max läßt sich entschuldigen... Doch
ich hab’ Sisi mitgebracht.
SOPHIE:
Das Kleid ist ganz unmöglich!
Scheußlich die Frisur!
HELENE:
Ich zieh mich um!
SOPHIE:
Das geht nicht mehr! Einen Kaiser läßt man nicht warten!
Alle verschwinden. Verwandlung. Im Inneren der Villa Eltz wartet der junge Franz Joseph sichtlich nervös auf die Gäste. Diener stellen Sessel und einen Tisch bereit.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Quel bel progetto! Sarebbe bello cosi! Ma attentione:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth betreten den Salon der Villa. Franz Joseph begrüßt die Verwandten. Man nimmt in den Fauteuils Platz.
LUCHENI:
Die Mütter sind gesprächig,
der junge Kaiser schweigt.
Die Heiratskandidatin schwitzt.
Die Sache wird genierlich,
weil jetzt der Kaiser zeigt,
daß er Eigensinn besitzt.
SOPHIE:
Nun, Franz Joseph, sag rundheraus,
wie sie dir gefällt –
FRANZ JOSEPH:
Wer?
SOPHIE:
Deine reizende Cousine –
FRANZ JOSEPH:
Wie eine frische Mandel...
LUDOVIKA:
Wie was?
FRANZ JOSEPH:
... die grad zerspringt.
Erzherzogin Sophie wirft Herzogin Ludovika einen bedeutungsvollen Blick zu.
SOPHIE:
Das ist ja beinahe Poesie!
FRANZ JOSEPH:
Sie hat so liebe, sanfte Augen... und Lippen
rot wie Erdbeeren.
SOPHIE:
Und ein ordentliches Becken!
LUDOVIKA:
So?
FRANZ JOSEPH:
Auf dem Ball heut abend tanz ich...
SOPHIE:
Ja?
FRANZ JOSEPH:
nur mit ihr!
LUDOVIKA:
Er mag sie!
SOPHIE:
Nun, dann lad’ sie ein...
(zu Helene)
Steh auf!
(zu Franz Joseph)
Geh zu ihr! Nimm sie in den Arm!
Franz Joseph erhebt sich, sichtlich verlegen. Helene nimmt lächelnd Haltung an und bietet Franz Joseph die Hand. Dieser tritt einen Schritt zurück, dreht sich schließlich abrupt um und ergreift Elisabeths Hände, um sie zu sich zu ziehen. Elisabeth ist wie alle anderen überrascht.
LUDOVIKA:
Wie?
SOPHIE:
Die?
Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie blicken sich entsetzt an.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika und Helene sind entsetzt aufgesprungen. Franz Joseph hält Elisabeth bei den Händen und himmelt sie an.
HELENE:
Drei Jahre probiert – französisch parliert,...
FRANZ JOSEPH & ELISABTH:
Ich war sehr besorgt...
HELENE:
... Manieren einstudiert.
ELISABETH:
... mich hier zu langweilen.
SOPHIE & LUDIVIKA:
Drei Jahre Ermahnung, Erziehung und Planung...
FRANZ JOSEPH:
Mama könnte die Verlobung übereilen.
ELISABETH:
Alles...
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE & LUDOVIKA:
Umsonst! Alles umsonst!
LUCHENI (gleichzeitig):
Umsonst!
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE, LUDOVIKA, LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
LUCHENI:
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Alle ab. Lichtwechsel. Verwandlung.
5. ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Am 13. März 1854 trifft der junge Kaiser Franz Joseph seine Braut Elisabeth in Possenhofen. Zum ersten mal sind die Verlobten alleine.
FRANZ JOSEPH:
Eins mußt du wissen,
ein Kaiser ist nie für sich allein.
Mit mir zu leben, wird oft nicht einfach für dich sein.
ELISABETH:
Was andre wichtig finden,
zählt nicht für mich.
FRANZ JOSEPH:
Vieles wird sich ändern...
ELISABETH:
Doch ich hab’ ja dich!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Nichts ist schwer,
solang du bei mir bist.
Wenn ich dich hab’, gibt es nichts,
was unerträglich ist.
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
FRANZ JOSEPH:
Im Joch der vielen Pflichten
geht mancher Traum verlor’n...
ELISABETH:
Doch unser Traum bleibt nah!
FRANZ JOSEPH:
Wir sind nicht wie die andern
zum Glücklichsein gebor’n.
ELISABETH:
Doch füreinander da!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Du wirst das Leben bald
durch meine Augen sehn.
Und jeden Tag mich ein wenig
mehr verstehn...
Inzwischen hat Franz Joseph ein Kollier in den Händen, das er Elisabeth um den Hals hängt. Das Orchester übernimmt die Chorusmelodie.
FRANZ JOSEPH:
Hier nimm diese Kette... als Zeichen,
daß du nun bei mir bist.
ELISABETH:
Wie kostbar!
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich... Ich brauch dich!
ELISABETH:
Wie schwer die Kette ist...
ELISABETH:
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich.
ELISABETH:
Ich lieb dich.
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Ich brauch dich... Laß mich nie allein!
Langsam versinkt die Szene im Dunkel. Verwandlung.
6. AUGUSTINERKIRCHE IN WIEN
Lucheni setzt seine Erzählung fort.
LUCHENI:
Halb sieben Uhr abends in der Wiener
Augustinerkirche. Merkwürdige Zeit für eine Trauung. Aber
passend an diesem 24. April 1854. Sehr passend,
porca miseria!
Orgelklang. Zehntausend Kerzen erhellen die festlich geschmückte Kirche. Groteske Hochzeitsgäste – Österreichs Hochadel und Würdenträger aus ganz Europa – ziehen in die Kirche ein.
HOCHZEITSGÄSTE:
Alle Fragen sind gestellt
und alle Phrasen eingeübt.
Wir sind die letzten einer Welt,
aus der es keinen Ausweg gibt.
Die Tugenden sind einstudiert,
und alle Flüche sind gesagt,
und alle Segen revidiert.
Die Häßlichkeit empört uns nicht.
Die Schönheit scheint uns längst banal.
Die gute Tat belehrt uns nicht.
Die böse Tat ist uns egal.
Denn alle Wunder sind geschehn
und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn,
uns alle Klänge totgehört.
Alle Fragen sind gestellt,
und alle Chancen sind verschenkt.
Wir sind die Letzten einer Welt,
die stets an ihren Selbstmord denkt.
Und alles, alles was passiert,
hilft uns, die Zeit zu überstehn.
Weil jedes Leid uns delektiert,
sehn wir dich gerne untergehn
Elisabeth...
Elisabeth.
Das Brautpaar ist inzwischen vor den Altar getreten. Kardinalerzbischof Rauscher wendet sich im Rahmen der Trauungszeremonie an Elisabeth.
RAUSCHER:
... Wenn das Euer Wille ist, so antwortet mit Ja!
Ein Augenblick atemlose Stille.
ELISABETH (nach einem Blick zu ihrer Mutter):
Ja!
Drohend hallen dumpfe Glockentöne und der Klang von Böllerschüssen von draußen herein. Das Brautpaar wechselt die Ringe. Auf der Hinterbühne sieht man den Tod am Strang einer riesigen Totenglocke ziehen.
Verwandlung.
7. BALLSAAL IM SCHLOß SCHÖNBRUNN
Vor die Kirchenszene fällt ein Prospekt, der ein überdimensioniertes Orchestrion zeigt. Nach Art eines Adventskalenders besteht er aus lauter Klapptüren, die sich nach und nach öffnen und so immer vollständiger den Blick in den dahinter liegenden illuminierten Ballsaal freigeben, in dem die Hochzeitsgäste und das Brautpaar tanzen...
Aus der ersten Türe der Orchestrions tritt Herzog Max, aus einer Zweiten gleich darauf die Erzherzogin Sophie. Unabhängig voneinander äußern beide ihre Unzufriedenheit mit der Hochzeit.
MAX:
Liebe macht dumm!
Sisi gibt für ihn
auf, was das Leben verschönt.
Wien bringt sie um.
Sie sollte fliehn,
ehe sie sich dran gewöhnt.
SOPHIE:
Liebe macht blind!
Franz weiß nicht, was er tut.
Er hat auf mich nicht gehört.
MAX:
Warum mußte es der sein?
SOPHIE:
Seh ich das Kind,
packt mich die Wut.
Sie hat meine Pläne zerstört.
Der Kleinen fehlt fast alles...
MAX (gleichzeitig):
Dem Kaiser fehlt fast alles...
SOPHIE:
... was eine Kaiserin braucht.
MAX:
... was meine Sisi braucht.
SOPHIE:
Ich seh sie...
MAX & SOPHIE:
... und denk bei mir:
SOPHIE:
Er paßt nicht zu ihr!
MAX:
Sie paßt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er paßt nicht...
MAX & SOPHIE:
... er paßt nicht, er paßt nicht zu ihr!
Lichtwechsel. In Gruppen stehen die Hochzeitsgäste am Rande der Tanzfläche, auf der weiter getanzt wird. Sie reden über das Thema des Tages – die junge Braut und die neue Kaiserin. Erzherzogin Sophie und Herzog Max verlieren sich in der Gesellschaft.
EIN ALTER ARISTOKRAT:
Was für eine schöne Trauung!
EIN JUNGER ARISTOKRAT:
Der Rauscher hat zu lang geredet.
IHRE EHEFRAUEN:
Wie immer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe; gleichzeitig):
Wirklich süß!
Rührend naiv! Und weich wie Wachs! Redet nicht viel.
EINE GRÄFIN:
Wie gefällt ihnen die neue Kaiserin?
ZWEI ARISTOKRATINNEN:
Aussehen tut sie nett.
DREI ARISTOKRATINNEN:
Sie ist wirklich lieb!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Neu am Hof,
einfach zu führn. Mit der haben wir leichtes Spiel!
EIN GREIS:
Ihr Stammbaum hat zwar Fehler...
EIN JUNGER FÜRST:
Das woll’n wir übersehn!
ARISTOKRATINNEN:
Ein Kind noch!
ARISTOKRATEN:
Es gibt schlechte Omen...
GRÄFIN (gleichzeitig):
Sie ist freundlich...
ARISTOKRATEN:
... In der Schatzkammer...
MEHRERE ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist schüchtern!
ARISTOKRATEN:
... fiel die Krone zu Boden...
SOPHIE:
Sie ist naiv!
ARISTOKRATINNEN:
Und beim Aussteigen aus der Kutsche...
ARISTOKRATEN:
Etwas linkisch!
ARISTOKRATINNEN:
... verlor die junge Kaiserin...
ARISTOKRATEN:
Sie tut sich...
ARISTOKRATINNEN:
... beinah ihr neues Diadem.
ARISTOKRATEN:
... noch schwer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe):
Es ist fast wie im Märchen:
Ein Kind wird Kaiserin!
So was gibt es sonst nicht mehr!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe):
Rot geweinte Augen! Ungeschickt und brav!
So entzückend hilflos wie ein Schaf.
Hat kein Gewicht, ist ein kleines Licht.
ARISTOKRATINNEN:
Sie paßt gut hierher!
ARISTOKRATEN:
Sie paßt gut hierher!
SOPHIE:
Sie paßt nicht hierher!
MAX:
Sie paßt nicht hierher!
ARISTOKRATEN & ARISTOKRATINNEN:
Sie paßt gut...
MAX & SOPHIE:
Sie paßt nicht...
ALLE:
... sie paßt gut / nicht hierher!
Lichtwechsel. Inzwischen hat sich das Orchestrion ganz aufgelöst. Der Blick geht in den strahlend hellen Ballsaal. Noch einmal beteiligen sich alle Hochzeitsgäste am Tanz. Der Hochzeitswalzer wird zunehmend dissonanter, während der Tod mit seinen Engeln erscheint. Er geht durch die Tanzenden, die leblos niedersinken. Nur das Kaiserpaar tanzt weiter. Der Tod grüßt Elisabeth, sie lächelt ihm zu.
Die Musik wechselt. Franz Joseph erstarrt im Tanz. Der Tod löst Elisabeth aus dessen Armen und tanzt selbst mit ihr.
TOD:
Es ist ein altes Thema, doch neu für mich.
Zwei, die dieselbe lieben – nämlich dich.
Du hast dich entschieden: Ich hab’ dich verpaßt.
Bin auf deiner Hochzeit nur der Gast.
Du hast dich abgewendet. Doch nur zum Schein.
Du willst ihm treu sein, doch du lädst mich ein.
Noch in seinen Armen lächelst du mir zu.
Und wohin das führ’n wird, weißt auch du –
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich nur mit dir.
Die Zeit wird alt und müde, der Wein wird schal.
Die Luft ist schwül und stickig im Speisesaal.
Unsichtbare Augen, sehn uns beiden zu.
Alle warten auf das Rendezvous.
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Und so wart ich Dunkeln und schaue zu dir hin
als der große Verlierer. Doch ich weiß, ich gewinn!
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
TOD & BALLGÄSTE:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir (dir).
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz (tanzt) ich (du) nur mit dir (ihr).
ANDERE BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Wien am Ende. Zeitwende.
Alle Fragen sind gestellt.
Der Tod geht ab. Lichtwechsel. Das Kaiserpaar ist scheinbar alleine. Elisabeth berührt mit zaghafter Zärtlichkeit Franz Josephs Wange.
Aus dem Dunkel von beiden Seiten Volk auf, gaffende Gestalten aus allen Bevölkerungsschichten. Mit einer Geste fordert Lucheni das Volk auf, sich dem Paar zu nähern.
Franz Joseph und Elisabeth umarmen sich. Ihr Liebesthema klingt auf. Die Gaffer recken die Hälse. Lucheni ahmt einen Jahrmarktsschreier nach. Mit einer einladenden Handbewegung ermutigt er die Gaffer, jedes Taktgefühl aufzugeben.
LUCHENI:
Treten Sie näher, meine Herrschaften. Werden
Sie Zeuge, wie der Kaiser von Österreich seine Braut zur
Gattin macht. Der Vollzug der Ehe ist die Voraussetzung
für die Geburt des Thronfolgers. Deshalb, verehrtes
Publikum, ist diese Umarmung von öffentlichem Interesse...!
Elisabeth löst sich aus der Umarmung. Erschrocken blickt sie in die gaffenden Gesichter. Hastig zieht sie Franz Joseph weg, um an anderer Stelle mit ihm ungestört zu sein. Doch da stehen schon andere Gaffer. Daraufhin verzichtet sie auf weitere Zärtlichkeiten.
ELISABETH:
Wenn du bloß kein Kaiser wärst,
gäb’ es gar nichts, was und trennt.
Elisabeth drängt Franz Joseph zu gehen. Die Gaffer folgen feixend. Lucheni sieht dem Brautpaar nach.
LUCHENI:
Das Vöglein ist in den Käfig geflogen, die Gittertür
wird zugemacht. Kann man’s dem Volk verdenken,
daß es das Tierchen besichtigen will? Eine Rarität, in
Freiheit geboren und noch nicht dressiert!
Lichtwechsel. Verwandlung.
8. ELISABETHS GEMÄCHER IM SCHLOß LAXENBURG
Es ist früher Morgen. Die Erzherzogin stattet ihrer Schwiegertochter einen nicht angekündigten Besuch in Laxenburg ab. Begleitet von einer Hofdame und einem Trupp von Zofen, rauscht Erzherzogin Sophie in das Appartement der Kaiserin. Elisabeths oberste Hofmeisterin, die Gräfin Esterházy-Liechtenstein, kommt Erzherzogin Sophie mit unterwürfiger Miene entgegen.
SOPHIE:
Wo ist die Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Sie schläft noch, Hoheit!
SOPHIE:
Dann ist es höchste Zeit, sie aufzuwecken!
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein verschwindet. Erzherzogin Sophie erläutert ihrer Begleiterin den Zweck des Besuches.
SOPHIE:
Die Kaiserin ist noch sehr jung.
Sie braucht noch manche Förderung.
Zeit, daß sie lernt, was sich gehört.
Zeit, daß sie jemand lehrt, sich zu fügen.
Sie ist verbauert ganz und gar.
HOFDAME:
Ganz recht!
SOPHIE:
Nimmt ihre Pflichten hier nicht wahr.
HOFDAME:
Sehr schlecht!
SOPHIE:
Hat das Gehorchen nicht geübt, ist in
sich selbst verliebt und nicht streng mit sich.
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
HOFDAME:
In der Tat!
Elisabeth und die Gräfin Esterházy-Liechtenstein kommen aus dem Schlafzimmer. Elisabeth trägt nur ein Morgenrock über dem Nachthemd. Sie ist noch ziemlich verschlafen.
ELISABETH:
Was ist den los?
SOPHIE:
Mein Kind, man schläft hier nicht so lang.
ELISABETH:
Warum?
SOPHIE:
Ich dulde keinen Müßiggang!
ELISABETH:
Ich war so müde...
SOPHIE:
Um fünf Uhr früh beginnt der Tag,
pünktlich zum Glockenschlag jeden Morgen.
ELISABETH:
Aber Franz Joseph hat mit gesagt,
ich sollte mich heut mal ausruhn.
SOPHIE:
Ausruhn wovon? Ich hab gefragt.
Ich weiß, daß du dich heut nacht geschont hast.
ELISABETH:
Das kann nicht sein...
SOPHIE:
Das sagte ich auch –
ELISABETH:
... Er würde mich nicht an Sie verraten!
SOPHIE:
Vor mir hält mein Sohn gar nichts geheim.
ELISABETH:
Das ist nicht wahr!
SOPHIE:
Dann frag ihn doch selber...
Gibt ihrer Hofdame ein Zeichen. Diese geht ab, um Franz Joseph zu holen.
ELISABETH:
Das werd’ ich –
SOPHIE:
Er kam mit mir her!
Sie bemüht sich, sachlich zu bleiben.
Glaub mir, mein Kind, ich mein es gut.
ELISABETH:
Natürlich.
SOPHIE:
Ich wünsche keinerlei Disput!
ELISABETH:
Ich auch nicht.
SOPHIE:
Richte dich nach dem Zeremoniell,
dann bin ich schnell mit dir zufrieden.
ELISABETH:
Ich will heut reiten –
SOPHIE:
Ordinär!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Und zu riskant!
SOPHIE:
Man treibt als Kaiserin nicht umher.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Wie degoutant!
ELISABETH:
Warum den nicht?
SOPHIE:
Weil man nicht soll, was nach dem
Protokoll streng verboten ist.
SOPHIE & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE:
Zeig mir mal deine Zähne her!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Aus gutem Grund.
ELISABETH:
Die Zähne?
SOPHIE:
Ja! Ist das so schwer?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Öffnen sie den Mund!
Elisabeth zeigt Erzherzogin Sophie die Zähne.
SOPHIE:
Die sind zu gelb, das darf nicht sein.
ELISABETH:
Bin ich ein Pferd? –
SOPHIE:
Nein! Jedoch ein Vorbild –
ELISABETH:
Sie kritisieren an mir nur herum.
Was ich auch will, ist verboten –
SOPHIE:
Ich will, daß du zur Kaiserin wirst.
Du bist noch nicht gezähmt und gezogen!
ELISABETH:
Ich glaub’, Sie sind nur neidisch auf mich...
SOPHIE:
Neidisch auf dich?!
Das ist wirklich komisch!
Franz Joseph und die Hofdame betreten das Zimmer.
ELISABETH:
Ich will... –
SOPHIE:
Lern’ erst mal bescheiden zu sein.
ELISABETH:
Ich möchte... –
SOPHIE:
Nein!
ELISABETH:
Hilf mir, Franz Joseph! Sieh, wie deine Mutter mich quält!
HOFDAME & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE (gleichzeitig):
Überlaß sie mir Sohn!
Ich erzieh, ich erzieh sie schon. Überlaß sie mir,
mein Sohn! Ich erzieh sie schon.
ELISABETH (gleichzeitig):
Sie quält mich, sie sperrt mich ein!
Hilf mir, laß mich nicht allein!
FRANZ JOSEPH:
Ich stünde gern an deiner Seite... Doch es
wär’ besser für uns beide, wenn du dem Rat meiner
Mutter folgst...
SOPHIE:
Sei streng! Sei stark!
ELISABETH:
Also, läßt du mich im Stich...
Sie dreht sich abrupt um und geht allein zur Rampe. Franz Joseph macht Anstalten, ihr zu folgen, wird aber von Erzherzogin Sophie zurückgehalten.
Lichtwechsel.
ELISABETH:
Ich will nicht gehorsam,
gezähmt und gezogen sein.
Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
denn ich gehör nur mir.
Ich möchte vom Drahtseil herabsehn auf diese Welt.
Ich möchte aufs Eis gehen und selbst sehn,
wie lang’s mich hält.
Was geht es dich an, was ich riskier!?
Ich gehör nur mir.
Willst du mich belehren
dann zwingst du mich bloß,
zu fliehn vor der lästigen Pflicht.
Willst du mich bekehren, dann reiß ich mich los
und flieg wie ein Vogel ins Licht.
Und will ich die Sterne, dann finde ich selbst dorthin.
Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin.
Ich wehr mich, bevor ich mich verlier!
Denn ich gehör nur mir.
Ich will nicht mit Fragen und Wünschen belastet sein,
vom Saum bis zum Kragen von Blicken betastet sein.
Ich flieh’, wenn ich fremde Augen spür’.
Denn ich gehör nur mir.
Und willst du mich finden, dann halt mich nicht fest.
Ich geb’ meine Freiheit nicht her.
Und willst du mich binden, verlaß ich dein Nest
und tauch wie ein Vogel ins Meer.
Ich warte auf Freunde und suche Geborgenheit.
Ich teile die Freude, ich teile die Traurigkeit.
Doch verlang nicht mein Leben,
das kann ich dir nicht geben.
Denn ich gehör nur mir.
Nur mir!
Verwandlung.
9. STATIONEN EINER EHE
Auf einem Prospekt der Parkansicht des Schönbrunner Schlosses. Lucheni tritt als Filmvorführer auf, stellt Stativ und Vorführgerät hin und projiziert frühe Aufnahmen aus der österreichischen Kaiserzeit auf den Prospekt.
LUCHENI:
Den Tod verdrießt es sehr, Elisabeth am Wiener
Hof zu sehn. Schließlich ist er abgeblitzt, man kann seinen
Groll verstehn. Drum: wenn trotz Milch und Honig ihr das
Leben hier nicht schmeckt, dann könnt’ es durchaus
möglich sein, daß er dahinter steckt.
Im ersten Ehejahr läßt sie der Kaiser viel allein. Was tut’s?
Ihr Papagei hat immer für sie Zeit.
Im zweiten Ehejahr kriegt sie ihr erstes Töchterlein und
wird von ihren Mutterpflichten prompt befreit.
Der Prospekt öffnet sich und gibt in einem Ausschnitt den Blick auf eine Szene im Inneren des Schlosses frei: Elisabeth steht vor ihrem Papageienkäfig , ihr gegenüber die Erzherzogin Sophie samt Hofdamen und den Zofen. Dazwischen Franz Joseph.
ELISABETH:
Wo ist meine Kleine?
SOPHIE:
Ich nehme mich ihrer an!
ELISABETH:
Ich will mein Kind wiederhaben!
SOPHIE:
Du siehst es dann und wann.
ELISABETH:
Ohne mich zu fragen, tauften Sie es Sophie. –
Ausgerechnet Ihren Namen!
SOPHIE:
Ich kümm’re mich um sie!
ELISABETH:
Franz Joseph, deine Mutter
quält mich in einem fort!
Jetzt hat sie mein Kind gestohlen –
sprich ein klares Wort!
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Sie ist ja selbst noch fast ein Kind –
Sie kann kein Kind erziehn!
FRANZ JOSEPH:
Beruhig dich nur, mein Engel! Mama weiß,
was sie tut! Hat mit Kindern viel Erfahrung, und sie
meint es gut.
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Bedarf noch selbst der starken Hand – Am Kaiserhof von Wien.
ELISABETH:
Ich versteh, du stellst dich...
FRANZ JOSEPH:
Ich will keinen Streit...
ELISABETH:
... gegen mich!
FRANZ JOSEPH:
Versteh mich doch. Ich kann nicht anders.
ELISABETH:
Mein Kind! Ich will mein Kind!
Der Ausschnitt im Prospekt schließt sich wieder und die Szene verschwindet. Lucheni setzt seine Filmvorführungen fort.
LUCHENI:
Im dritten Ehejahr kommt wieder eine Tochter
an. Die Mutter heult umsonst – das Kind wird requiriert.
Und langsam wird ihr klar, daß sie nur was erreichen kann,
wenn man von ihr was will und sie den Preis diktiert.
Erneut öffnet sich der Prospekt. Wir sehen das Eßzimmer des Kaiserpaares. An anderer der Bühne berät die Hofkamarilla.
FRANZ JOSEPH:
Auch deine Schönheit kann uns politisch nützlich sein.
KAMARILLA (außer Graf Grünne):
Ihre Schönheit kann uns nützen...
GRÜNNE (gleichzeitig):
Man muß die, die sich empören,
mit der Knute niederzwingen...
FRANZ JOSEPH:
Komm mit nach Ungarn, setz’ deinen Zauber für mich ein.
KAMARILLA (außer Graf Grünne; gleichzeitig):
... kann die Macht des Kaisers stützen
GRÜNNE (gleichzeitig):
... und danach mit Charme betören,
um vom Hals sie abzubringen.
ELISABETH:
Ich möchte meine Kinder.
Hol sie zuerst zurück.
Dann will ich dich gern begleiten im Dienst der Politik.
KAMARILLA (gleichzeitig):
Ungarn und Italien sind vernarrt in schöne Frauen...
ELISABETH:
Sie müssen mit mir reisen.
FRANZ JOSEPH:
Dafür sind sie zu klein.
KAMARILLA (gleichzeitig):
Österreich kann mehr denn je...
ELISABETH:
Mit ihnen oder gar nicht!
FRANZ JOSEPH:
Bitte, dann soll es sein.
KAMARILLA (gleichzeitig):
... auf Charme und Liebreiz bau’n.
Der Prospekt schließt sich, die Szene verschwindet. Die Hofkamarilla geht ab. Lucheni packt sein Vorführgerät zusammen.
LUCHENI:
So reist im vierten Ehejahr samt den zwei Kindern
das Kaiserpaar nach Ungarn, wo jemand auf sie wartet.
Sie wissen schon wer? – Oder...?
Lucheni ab. Der Prospekt geht hoch und gibt den Blick frei auf den Schloßplatz von Debrezin am Abend. Franz Joseph und Elisabeth begrüßen eine Gruppe ungarischer Magnaten. Drei Aristokraten kommentieren den Auftritt Elisabeths mit gedämpften Stimmen.
EIN JUNGER UNGAR:
Die Kaiserin ist schön.
EIN EHEMALIGER REVOLUTIONÄR:
Wie steht sie zu Ungarn?
EIN ÄLTERER ARISTOKRAT:
Sie liebt alles, was ihre Schwiegermutter haßt.
EIN EHEMALIGER REVOLUTIONÄR:
Dann wird sie uns unterstützen.
EIN JUNGER UNGAR:
Sie sieht traurig aus.
EIN ÄLTERER ARISTOKRAT:
Ihre Kinder sind krank. Die kleine
Sophie soll hohes Fieber haben.
EIN JUNGER UNGAR:
Die Sorge macht sie noch schöner.
Die Kutsche des Todes fährt herein. Der Tod steigt aus und geht auf Elisabeth zu. Auf sein Zeichen öffnet ein Todesengel die Tür der Kutsche. Man sieht in ihrem Innern einen offenen Kindersarg mit der Leiche der zweijährigen Sophie.
ELISABETH:
Nein!!
Der Tod fordert Elisabeth mit einer lasziven Geste auf, ihm zu folgen.
TOD:
Weißt du noch, wie wir erbebten,
als wir zwei im Tanze schwebten?
Du brauchst mich. Ja, du brauchst mich.
Gib doch zu, daß du mich mehr liebst,
als den Mann an deiner Seite.
Auch wenn du ihm scheinbar mehr gibst,
du ziehst ihn in die Nacht.
Das Licht hat sich unterdessen ganz auf den Tod konzentriert. Die Gruppe im Hintergrund verschwindet im Dunkel.
Die Schatten werden länger.
Es wird Abend, eh’ dein Tag begann.
Die Schatten werden länger.
Diese Welt zerfällt, halt dich nicht fest daran!
Elisabeth scheint einen Moment lang unentschlossen, bevor sie sich vor dem Tod zu Franz Joseph flüchtet. An ihm hält sie sich fest.
Blackout. Verwandlung.
10. EIN WIENER KAFFEEHAUS
Lucheni als Kaffeehauskellner auf dem Weg von der Küche zur Gaststube.
LUCHENI:
Ma que cazzo voi! Die Welt geht unter, indubbiamente.
Bei Hof hat man das noch nicht bemerkt. Aber in
den Kaffeehäusern von Wien weiß das jeder.
Die Szene wird hell. An runden Tischen verschiedenen Kaffeehausbesucher. Sie lesen Zeitung, rauchen Zigarren, schreiben, spielen Schach, langweilen und unterhalten sich. Lucheni serviert und nimmt Bestellunge auf.
PROFESSOR:
Was steht im Feuilleton?
JOURNALIST:
Wie schmeckt heut die Bouillon?
STUDENT:
Spielt irgendwer mit mir Skat?
BOHEMIEN:
Mein Gott, ist mir wieder fad!
POET:
Unsre junge Kaiserin weint den ganzen Tag.
Sie ißt nicht mehr, seit sie ihr Kind verlor.
BOHEMIEN:
Noch eine Melange!
LUCHENI:
Noch eine Melange.
PROFESSOR:
Schwanger ist sie wohl auch!
JOURNALIST:
Sie zeigt nicht mehr den Bauch.
LUCHENI & POET:
Zu lang entbehren wir schon den Erben für den Thron.
JOURNALIST:
In Zirkus Renz war sie neulich zu Gast.
PROFESSOR:
Der Mutter des Kaisers hat’s gar nicht gepaßt.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
LUCHENI:
Schwätzer! Wissen alles und nichts. Hocken da
per ingannare il tempo. Schlagen die Zeit tot. Tagaus,
tagein.
POET:
Wieder ein Jahr vorbei!
BOHEMIEN:
Das ist mir einerlei!
PROFESSOR (in der Zeitung lesend):
Wir haben ein Konkordat!
STUDENT:
Wer spielt heut mit mir Skat?
JOURNALIST:
Unser junger Kaiser zeigt nicht viel Geschick.
Jedenfalls nicht in der Politik.
BOHEMIEN:
Noch ein Likör!
PROFESSOR:
Der letzte Krieg um die Krim hat uns neutralisiert.
JOURNALIST:
Und jetzt ist Österreich politisch ganz isoliert.
PROFESSOR:
Frankreich, England, Rußland
stehn in einer Front.
Und jetzt gibt es Krieg im Piemont.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
STUDENT:
Diesmal war es ein Sohn, wer hätt’ es geglaubt.
POET:
Und auch ihn hat man gleich der Mutter geraubt.
JOURNALIST:
Ich hab erfahr’n, sie mag die Magyarn!
PROFESSOR:
Denkt sie liberal?
BOHEMIEN:
Ist sie radikal?
ALLE (außer Lucheni):
Sie ist eine seltsame Frau!
No, und wenn schon, gut für die Apokalypse.
LUCHENI:
Als Rudolf zur Welt kam,
hatte die Mutter im Wochenbett
eine schreckliche Vision.
Sie sah rote Fahnen,
Massen von Menschen am Ballhausplatz
mit Fäusten sie bedrohn.
Sie sah Barrikaden
und darauf den eigenen Sohn
als Führer der Revolution!
POET:
Herrlich exzentrisch!
BOHEMIEN:
Schön dekadent.
STUDENT & PROFESSOR:
Österreich braucht jetzt ein Parlament!
ALLE:
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
ERSTE GRUPPE:
Weil uns fad ist, weil’s net schad is...
ZWEITE GRUPPE (gleichzeitig):
Stieren, schnofeln, plauschen,
plaudern, rauchen, pofeln, raunzen, zaudern, lesen, dösen
beim Kaffee!
DRITTE GRUPPE (gleichzeitig):
Weil uns fad is, desolat is...
weil’s net schad is, weil, was g’maht is
und parat is, g’schieht ja eh!
Lichtwechsel und Verwandlung.
11. ELISABETHS SCHLAFZIMMER
Eine Nacht in der Hofburg im Jahre 1865. Franz Joseph steht im Hausmantel vor Elisabeths Schlafzimmertür, klopft, versucht einzutreten. Die Tür ist verschlossen. Im Schlafzimmer sitzt Elisabeth an ihrem Sekretär und schreibt. Sie hört Franz Joseph, macht aber keine Anstalten, ihn einzulassen.
FRANZ JOSEPH:
Elisabeth? Mach auf, mein Engel.
Ich, dein Mann, sehn mich nach dir.
Laß mich nicht warten!
Hinter mir liegt ein Tag voll Problemen.
Frankreich beginnt mir offen zu drohn.
Skandale, die kein Ende nehmen.
Staatsbankrott, Krieg und Revolution.
Eine Selbstmordwelle, neue Typhusfälle.
Hilf mir einzuschlafen
so wie ein Schiff im sicher’n Hafen,
von deiner Zärtlichkeit bewacht
und ohne Wunsch für eine Nacht.
Er kann sich nicht erklären, warum sie ihm nicht öffnet. Er lauscht an der Tür, bevor er einen neuen Versuch macht...
Nun öffne mir, laß mich nicht warten.
Sei die Frau, die mich versteht, Elisabeth!
Elisabeth hat aufgehört zu schreiben. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl in Richtung zur Tür um.
ELISABETH:
Warum gehst du nicht zu deiner Mutter?
Sie war dir auch sonst immer lieber...
FRANZ JOSEPH:
Engel!
ELISABETH:
Verschon mich!
FRANZ JOSEPH:
Was hab ich getan?
ELISABETH:
Du läßt zu, daß Rudolf gequält wird.
FRANZ JOSEPH:
Rudolf? Gequält?
ELISABETH:
Ich hab alles erfahr’n. Deine Mutter gab ihn
ihrem Folterschergen.
FRANZ JOSEPH:
Sie läßt ihn erziehn!?
ELISABETH:
Er kann sich nicht wehr’n. Doch ich werd mir das
nicht länger ansehen! Entweder sie oder ich!
Elisabeth steht auf und geht mit dem Schriftstück in der Hand zur Tür.
Ich habe ein förmliches Ultimatum aufgesetzt. Wenn du
mich nicht verlieren willst, erfüll’ es! Ich möchte selbst
über die Erziehung meiner Kinder bestimmen. Und von
nun an will ich entscheiden, was ich tue und lasse. Lies
mein Schreiben und entscheide dich: Für deine Mutter
oder mich! Und jetzt laß mich allein.
Sie öffnet die Tür und hält Franz Joseph das Papier mit ihrem Ultimatum hin. Bevor er eintreten kann, schlägt sie die Tür vor ihm zu. Franz Joseph betrachtet benommen das Schriftstück, wendet sich ab und geht ins Dunkel.
Auf einem Diwan im Schlafzimmer sitzt der Tod. Elisabeth erschrickt, als sie ihn sieht.
TOD:
Elisabeth, sei nicht verzweifelt.
Ruh dich aus in meinem Arm.
Ich will dich trösten.
Flieh, und du wirst frei sein
und alles Kämpfen wird vorbei sein.
Ich führ dich fort aus Raum und Zeit
in eine beß’re Wirklichkeit.
Elisabeth! Elisabeth! Ich liebe dich...
ELISABETH:
Nein! Ich möchte leben.
Ich bin zu jung um aufzugeben.
Ich weiß, ich kann mich selbst befrein.
Jetzt setz ich meine Schönheit ein.
Geh! Ich will dich nicht!
Ich brauch dich nicht! Geh!
Mit einer entschiedenen Geste weist Elisabeth den Tod ab. Dieser weicht zurück und verschwindet im Nichts.
Verwandlung.
12. MARKTPLATZ IN WIEN
Ein früher Herbstmorgen. Zwischen geschlossenen Marktbuden warten Arbeiter, Hausfrauen und Dienstboten auf die Öffnung des Milchladens. Die Tür der Milchausgabe wird endlich geöffnet und eine Hand hängt ein offenbar häufig benutztes Schild an einen Nagel. Sofort schließt sich die Tür wieder. Die Wartenden werden unruhig. Lucheni liest vor, was auf dem Schild steht.
FRAUEN:
Wann gibt’s endlich Milch?
Warum wird uns nicht aufgemacht?
LUCHENI:
Heute keine Lieferung!
MÄNNER:
Wieder umsonst.
Die Kanne leer, wie so oft.
Umsonst gefrorn und gehofft, die halbe Nacht.
MENGE:
Jemand belügt uns.
Jemand betrügt uns.
Jemand hält uns für dumm.
Wir müssen hungern,
andere lungern
in den Palästen rum...
Schluß!
Lucheni hetzt die Menge auf.
LUCHENI:
Wollt ihr wissen, wer die Milch euch nimmt?
MENGE:
Sag wer?
LUCHENI:
Die ganze Milch ist nur für sie bestimmt!
MENGE:
Für wen?
LUCHENI:
Für eure Kaiserin! Sie braucht sie für...
MENGE:
Für was?
LUCHENI:
... ihr Bad!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
FRAUEN:
Was für ein Skandal!
LUCHENI:
Ein Skandal!
FRAUEN:
Das hätt’ ich nie von ihr geglaubt!
LUCHENI:
Das hättet ihr nie von ihr geglaubt!
MÄNNER:
Kinder sterben, weil’s keine Milch gibt für sie...
LUCHENI:
Keine Milch für die Kinder!
MÄNNER:
... während sie badet darin...
LUCHENI:
Sie badet darin!
MÄNNER:
... und uns beraubt!
MENGE:
Was nützt das Klagen,
man muß verjagen,
die uns ins Unglück führ’n!
LUCHENI:
Verjagt, die euch ins Unglück führ’n!
MENGE:
Weg mit den Drohnen,
die uns nicht schonen –
Laßt sie die Volkswut spür’n!
LUCHENI:
Laß sie die Volkswut spür’n!
MENGE:
Schluß!
LUCHENI:
Wollt ihr hören, was die Kaiserin quält?
MENGE:
Sag, was?
LUCHENI:
Wenn sie in ihrem Kamm die Haare zählt,...
MENGE:
Wie das?
LUCHENI:
... weint sie vor Kummer,
denn sie trauert um...
MENGE:
Um was?
LUCHENI:
... ihr Haar!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
MENGE (erste Gruppe):
Zeit, sich zu wehren!
LUCHENI:
Höchste Zeit!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Nie mehr arm und reich!
MENGE (erste Gruppe):
Wir woll’n sie lehren...
LUCHENI:
Wir woll’n sie lehren!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Hört das Signal...
MENGE (erste Gruppe):
... daß man uns nicht verlacht.
LUCHENI:
Laßt euch nicht mehr verhöhnen!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... zur letzten Schlacht!
MENGE (erste Gruppe):
Brot für die Armen!
LUCHENI:
Kämpft um eure Menschenwürde!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Jeder ist gleich und wer nicht arbeiten will...
MENGE (erste Gruppe):
Recht statt Erbarmen!
LUCHENI:
Krieg in den Palästen!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... der hat kein Recht über uns...
MENGE (erste Gruppe):
Nieder mit jeder Macht!
LUCHENI:
Freiheit für das Volk!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... und keine Macht!
MENGE & LUCHENI:
Brüder seid bereit,
es ist soweit!
Schluß mit dem Leid! Sagt ja!
Die neue Zeit ist da!
Lichtwechsel. Verwandlung.
13. ELISABETHS ANKLEIDEZIMMER
Spiegel, Frisiertisch, offene Kleiderschränke. Im Hintergrund ein großer Paravant, hinter dem Elisabeth badet und Toilette macht. Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein gibt der Friseuse und den Kammerzofen Anweisungen. Zwei der Zofen tragen Milchkannen hinter den Paravant. Eine weitere Zofe bereitet die Badetücher vor, die Friseuse mischt vor einer Anrichte das Shampoo für die bevorstehende Haarwäsche der Kaiserin.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Die Kaiserin ist schon im Bad.
Senkt euren Blick, wenn ihr euch naht!
Und gießt behutsam und gemach
heiße Milch nach und nach in die Wanne.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein klatscht in die Hände.
Sind ihre Tücher parfümiert?
ERSTE ZOFE (präsentiert die Badetücher):
Un dgekreppt!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Ist das Shampoo schon angerührt?
FRISEUSE (präsentiert das Shampoo):
Nach Rezept: Zuerst den Cognac,
dann das Ei – auf jedes Glas jeweils drei...
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
So verlangt sie es!
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
Auch die Erzherzogin findet das sehr vernünftig...
Zofen und Friseuse eilen zwischen Paravant und den Beistelltischen etc. hin und her.
Das Erdbeermus ist für die Haut –
ZWEITE ZOFE:
Ich fang schon an, sie zu massier’n.
DRITTE ZOFE:
Hier für den Teint das Sauerkraut.
FRISEUSE:
Ich muß die Brauen retouschier’n.
ERSTE ZOFE:
Hier kommt das Kalbfleisch fürs Gesicht.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Leg es in dicker Schicht auf die Wange.
Das Rosenwasser – wunderbar!
FRISEUSE:
Sechs Stunden muß ich sie frisier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Das macht die Augen hell und klar.
ZWEITE ZOFE:
Sie läßt sich täglich manikür’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Der Fleischsaft, sei sie mittags trinkt,
muß bitte unbedingt vom Filet sein.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN; FRISEUSE & ZOFEN:
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
Alle sehen zu einer vom Publikum nicht einsehbaren Tür, durch die Franz Joseph überraschend das Ankleidezimmer betritt.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Der Kaiser!
ERSTE ZOFE:
Was?
ZWEITE ZOFE:
Der Kaiser?
DRITTE ZOFE:
Hier – in den Gemächern der Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ERSTE UND ZWEITE ZOFE:
Um diese Zeit?
DIE ÜBRIGEN ZOFEN:
Seltsam, noch nie kam der Kaiser um diese Zeit!
Alle verbeugen sich.
FRANZ JOSEPH:
Wo ist die Kaiserin? Ich muß sie sprechen!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Sie hat ihre Toilette noch nicht beendet, Majestät.
Aber sie können mit ihr sprechen. Sie
befindet sich hinter dem Paravant. Sie kann Sie hören.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein Gibt den Zofen ein Zeichen, sich zu entfernen. Zofen, Friseuse und Gräfin ab.
FRANZ JOSEPH:
Ich will dir nur sagen,
ich geh auf dein Schreiben ein.
Ich kann nicht ertragen,
von dir nicht geliebt zu sein.
Was immer du willst, ich geb’ es dir,
bevor ich dich verlier.
Und willst du bestimmen,
wer Rudolf zum Mann erzieht,
dann soll es mir recht sein,
denn ich bin des Streitens müd.
Und was du auch sonst verlangst von mir,
gehört von nun dir.
Ich herrsche und lenke,
bezwing das Gefühl.
Gefühl ist verboten für mich.
Doch wenn ich an dich denke,
schweigt jedes Kalkül.
Ich werde mir untreu für dich!
Man sieht Elisabeth in einem der Spiegel. Ihr Bild gleicht einem berühmten Gemälde von Franz Xaver Winterhalter aus dem Jahre 1864. Sie tritt aus dem Rahmen des Spiegels heraus... die schönste Frau der Welt!
ELISABETH:
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
Du mußt mir nichts geben,
nur laß mir mein Leben!
Denn ich gehör nur mir.
Elisabeth streckt Franz Joseph die Hand entgegen, doch als er auf sie zugehen will, läßt sie die Hand mit einer abweisenden Bewegung sinken und wendet sich ihrem Spiegelbild zu.
Ich gehör nur mir!
Blackout.
ENDE DES ERSTEN AKTES
ZWEITER AKT
1. VOR DER KATHEDRALE IN BUDA
Orgelklang. Lucheni erscheint überraschend von hinten im Zuschauerraum. Er hat sich einen Bauchladen umgehängt und agiert las Andenkenverkäufer. Durch einen Gang des Theaters geht er zur Bühne vor, wobei er zum Publikum singt.
LUCHENI:
Kommen Sie näher, meine Damen und Herren!
Während da drin in der Kathedrale an diesem
denkwürdigen 8. Juni 1867 der Kaiser von Österreich und die
überirdisch schöne Elisabeth König und Königin von Ungarn
werden.. haben Sie die einmalige Gelegenheit, ein wertvolles
Erinnerungsstück zu erwerben. Alles sehr billig! Bitte, treten
Sie näher!
Rhythmuswechsel.
Wie wär’s mit diesem Bild:
Elisabeth als Mutter mit Rudolf ihrem Sohn –
Und hier: Ist das nicht nett?
Die Kaisers feiern Weihnacht im festlichen Salon.
Auf diesem Glas sehen wir
das Hohe Paar in Liebe zugeneigt.
Einen Teller hab’ ich auch,
der Elisabeth beim Beten in der Hofkapelle zeigt.
Nehmt ein hübsches Souvenir mit
aus der kaiserlichen Welt!
Alles innig, lieb und sinnig, so wie es euch gefällt:
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Verzeiht nicht das Gesicht! Tut bloß nicht so,
als wärt ihr an der Wahrheit interessiert.
Die Wahrheit gibt’s geschenkt, aber keiner will sie haben,
weil sie doch nur deprimiert. Elisabeth ist „in",
man spricht von ihr seit über hundert Jahr’n.
Doch wie sie wirklich war,
das werdet ihr aus keinem Buch
und keinem Film erfahr’n –
Schon gar nicht von mir!
Was ließ ihr die Vergötzung? Was ließ ihr noch der Neid?
Was blieb von ihrem Leben als Bodenschatz der Zeit?
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Ich will euch was verraten:
Eure Sisi war in Wirklichkeit ein mieser Egoist.
Sie kämpfte um den Sohn, um Sophie zu beweisen,
daß sie die Stärk’re ist. Doch dann schob sie ihn ab.
Ihr kam’s ja darauf an, sich zu befrei’n.
Sie lebte von der Monarchie und richtete sich in der
Schweiz ein Nummernkonto ein.
Aber was red ich!
Man hört nur, was man hör’n will,
Drum bleibt nach etwas Zeit
von Schönheit und von Scheiße,
von Traum und Wirklichkeit nur Kitsch.
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Mit einer Geste läßt Lucheni den Vorhang aufgehen. Als riesige Kitschpostkarte sehen wir ungarisches Volk auf dem sonnenüberfluteten Platz vor der Kathedrale., in der am 8. Juni 1867 Franz Joseph und Elisabeth die ungarische Königswürde erhalten.
EIN UNGARISCHES MÄDCHEN:
Die Kirchentür geht auf!
EIN JUNGER UNGAR:
Die Messe ist vorbei!
EINE BÜRGERSFRAU:
Sie kommen!
Einer beginnt zu singen, die Menge stimmt rasch mit ein.
EIN JUNGER UNGAR:
Ungarns Elend ist zu Ende –
Éljen, Éljen, Erzsébet!
MÄNNER:
Sie bezwang die Widerstände –
Éljen. Éljen, Erzsébet!
MENGE:
Ungarns Elend ist zu Ende –
Éljen, Éljen, Erzsébet!
Fort mit allem, was uns trennte:
Éljen, Éljen, Erzsébet!
Lucheni kommentiert die Begeisterung als kritischer Beobachter.
LUCHENI:
Ungarn, Elisabeth hat euch befreit!
Sie zog eure Karte aus dem Kartenhaus der Welt.
Dem Nationalismus gehört die neue Zeit.
Er wird dafür sorgen, daß das Kaiserreich zerfällt!
MENGE:
Sie wird Ungarns Wunden heilen...
LUCHENI:
Anarchie und Völkerchaos!
MENGE:
... Éljen, Éljen, Erzsébet!
LUCHENI:
Österreich zerfällt!
MENGE:
Ungarns aufstieg, Habsburg
PROLOG
Die nächtliche Welt der Toten und Träumer – der Friedhof der Vergangenheit. Zerfetzte Fahnen, welke Blumen, bemooste Steine und modernde Erinnerung. Ein Erhängter baumelt an einem Seil – Luigi Lucheni, Elisabeths Attentäter.
Aus dem Nichts klingt die Stimme des Richters. Lucheni kommt auf die Bühne und schneidet seinen toten Körper vom Seil.
STIMME DES RICHTERS:
Aber warum, Lucheni? Warum haben
Sie die Kaiserin Elisabeth ermordet?
LUCHENI:
Alla malora!
STIMME DES RICHTERS:
Antworten Sie, Luigi Lucheni!
Aus dem Bühnenboden taucht die versunkene Welt des alten Habsburgerreiches wieder auf. Zwischen Relikten der Vergangenheit, zunächst nur schemenhaft, das Ensemble (bis auf Elisabeth und den Tod). Es bildet ein Tableau von Gestalten des 19. Jahrhunderts, die sich geisterhaft aus dem Dunkel des Vergessens ins Licht der Erinnerung bewegen.
LUCHENI:
Warum, warum... Nacht für Nacht dieselbe Frage,
seit hundert Jahren! Was soll die Fragerei? Merda.
Ich bin tot!
STIMME DES RICHTERS:
Das gemeine Attentat auf die Kaiserin
von Österreich...
LUCHENI:
Va a farti fottere!
STIMME DES RICHTERS:
Nennen Sie endlich die Hintergründe!
LUCHENI:
Die Hintergründe? Ich habe sie ermordet, weil sie
es wollte.
STIMME DES RICHTERS:
Reden Sie keinen Unsinn!
LUCHENI:
Sie wollte es. Dafür gibt es ehrenwerte Zeugen.
STIMME DES RICHTERS:
Was für Zeugen sollen das sein?
LUCHENI:
Ihre Zeitgenossen, bitte sehr! Kommen alle nicht
zur Ruhe... und reden immer noch von... Elisabeth!
DIE TOTEN:
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblaßt der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
SOPHIE & LUDOVIKA:
Wir haben es gut gemeint mit Sisi.
Uns trifft keine Schuld!
Das Kind war so sensibel...
Wir dachten uns, die trifft es gut,
doch sie traf es übel.
Sie hat zuviel verlangt vom Leben.
Ihr fehlten Demut und Geduld.
Uns trifft keine Schuld!
Keine Schuld!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig):
Es blieb mir nichts erspart im Leben.
Es war nicht leicht mit ihr.
Doch hätt’s nicht diese Frau gegeben,
wär’ ich zugrund’ gegangen hier.
RUDOLF ALS KIND (gleichzeitig):
Allein... So allein...
Immer allein!
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch,
verblaßt der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da
tanzt man noch den Todestanz...
Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt.
Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt.
Traum, Tran – alles, was uns bleibt:
Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt...
MAX:
Niemand war so scheu wie sie.
FRANZ JOSEPH:
Jeder Blick tat ihr weh.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Wir dem Tod geweiht...
SOPHIE & LUDOVIKA:
Stets hielt sie sich den Fächer ins Gesicht oder ihren Schirm.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Schatten am Abgrund der Zeit.
RUDOLF ALS MANN:
Sie und ich – wir waren uns so ähnlich.
MAX:
Nie gab sie die Freiheit auf.
RUDOLF ALS MANN (teilweise gleichzeitig):
Wir hätten uns so gut verstanden.
RUDOLF ALS KIND:
Sie ließ mich allein.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig):
Verwöhnt! Bedroht!
FRANZ JOSEPH, RUDOLF, MAX, SOPHIE & LUDOVIKA:
Ein Schatten lag auf ihrer Seele,
auf ihrem Leben lag ein Fluch!
ALLE TOTEN:
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth.
Alle tanzten mit dem Tod –
doch niemand wie Elisabeth...
Die Musik bricht ab. Das Thema des Todes erklingt. Die Toten erstarren. Plötzlich steht der Tod mitten unter ihnen. Lucheni bleibt unbeeindruckt. Er spielt den Zermonienmeister.
LUCHENI:
Attenzione! Seine Majestät der Tod!
Der Tod ist jung, attraktiv und erotisch. Er gleicht einem androgynen Popstar und ähnelt dem jungen Heinrich Heine. Auch er denkt an Elisabeth zurück.
TOD:
Was hat es zu bedeuten: dies alte Lied.
Das mir seit jenen Zeiten die Brust durchglüht?
Engel nennen’s Freude, Teufel nennen’s Pein,
Menschen meinen, es muß Liebe sein.
Mein Auftrag heißt zerstören.
Ich tu es kalt.
Ich hol, die mir gehören, jung oder alt.
Weiß nicht, wie geschehn kann, was es gar nicht gibt –
Doch es stimmt: Ich habe sie geliebt.
Rhythmuswechsel. Der Tod löst die Toten durch eine Geste aus ihrer Starre. Augenblicklich beginnen sie mit den eckigen Bewegungen des Totentanzes.
Nur Lucheni bleibt unbeteiligt. Er blickt wieder über die Zuschauer in die Richtung, aus der die Stimme des Richters kommt. Das Verhör geht weiter.
STIMME DES RICHTERS:
Sie weichen aus, Lucheni! Liebe,
Tod... Erzählen Sie keine Märchen!
LUCHENI:
Perche non? Sie liebte Heinrich Heine!
STIMME DES RICHTERS:
Zum letzten Mal, Lucheni: Wer waren Ihre Hintermänner?
LUCHENI:
Der Tod! Nur der Tod...
STIMME DES RICHTERS:
Das Motiv, Lucheni!
LUCHENI:
Die Liebe. Un grande amore... Ha, ha, ha...!
CHOR (außer Lucheni):
Elisabeth – Elisabeth!
LUCHENI (gleichzeitig):
Elisabeth – Elisabeth!
Blackout. Verwandlung.
1. HALLE VON POSSENHOFEN
Juni 1853. Die Halle von Schloß Possenhofen am Starnberger See. Es ist später Nachmittag. Als sich die Szene aufhellt, sehen wir Elisabeths Vater Herzog Max. Er macht sich stadtfein, denn er ist dabei, nach München abzureisen, wo er die Nacht mit einer Schauspielerin verbringen wird. Die 15jährige Elisabeth ist ihm nachgelaufen, denn sie will mitgenommen werden.
ELISABETH:
Mama hat heut Abend Gäste,
das wird grauenhaft!
All die Onkel und die Tanten kommen her –
Und ich wollt’, ich könnt’ mich drücken
vor dem Klatsch und dem Getu!
Doch die Gouvernante läßt es nicht zu.
Herzog Max zupft sich vor dem Spiegel den Bart. Er prüft den Sitz seiner Krawatte.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Weil es nicht geht!
ELISABETH:
Alles, was dir Spaß macht, mag ich fast noch mehr!
MAX:
In diesem Fall... Es geht nicht!
ELISABETH:
Träumen und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind.
Ich möchte mal so sein wie du.
MAX:
Das Leben ist zu kurz, daß man sich auch nur
eine Stunde langweilen darf. Und Familientreffen hasse ich
wie die Pest.
ELISABETH:
Ich auch...
Warum darf ich heut nicht wieder
auf den Kirschbaum rauf?
MAX:
Sei froh, daß dir’s nicht so geht wie deiner Schwester...
ELISABETH:
Oder üben, auf dem Seil zu balancier’n.
MAX:
... Helene wird zur Kaiserin dressiert...
ELISABETH:
Oder mit den Brüdern toben
auf der Wiese hinterm Haus.
MAX:
Ich misch mich da nicht ein!
ELISABETH:
Nein, die Gouvernante läßt mich nicht raus!
MAX:
Ich kann dir da nicht helfen.
ELISABETH:
Vater, warum kann ich denn nicht mit dir gehen?
MAX:
Vielleicht komm ich morgen nachmittag schon wieder...
ELISABETH:
Nach Ägypten, Spanien oder Katmandu...
MAX (sieht auf seine Taschenuhr):
... Höchste Zeit!
Herzog Max setzt den Hut auf und nimmt seine Zither unter den Arm. Er ist reisefertig.
ELISABETH:
Leben, frei wie ein Zigeuner
mit der Zither unterm Arm.
Nur tun was ich will...
Herzog Max gibt Elisabeth einen flüchtigen Kuß auf die Stirn...
MAX:
Adieu, Sisi...
ELISABETH:
... und woll’n, was ich tu.
MAX:
Sei brav...
Herzog Max geht rasch ab. Elisabeth sieht ihm nach.
ELISABETH:
Ich möchte mal so sein wie du!
Elisabeths Gouvernante tritt auf.
GOUVERNANTE:
Je vous en pris, princesse... Sie müssen sich umziehen...
ELISABETH:
Ich hasse es, mich umzuziehen. Ich hasse es,
Prinzessin zu sein.
GOUVERNANTE:
Mais, princesse...
ELISABETH:
Wenn ich keine Prinzessin wäre, würde ich
zum Zirkus gehen... als Kunstreiterin oder Artistin... Ich
kann jetzt auf dem Seil tanzen. Und erst meine
Trapeznummer! Die sollten Sie sehen, Madame...
GOUVERNANTE:
S’il vous plait! Venez maintenant...
Elisabeth folgt unfreiwillig der Gouvernante.
Beide ab. Verwandlung.
2. AM UFER DES STARNBERGER SEES
Eine Gesellschaft der Herzogin Ludovika am Abend desselben Tages. In Gruppen treffen die Gäste ein, überwiegend Verwandte der herzöglichen Familie aus dem ländlichen und mittleren Adel Bayerns. Herzogin Ludovika, die sich für diesen Anlaß besonders herausgeputzt hat, begrüßt sie. Neben ihr steht Helene, die kaum atmen kann in ihrem engen Kleid. Die ankommenden Gäste heißen einander willkommen und bilden kleine Gruppen. Schließlich bittet Herzogin Ludovika um Ruhe und hält eine kleine Ansprache.
LUDOVIKA:
Schön, euch alle zu sehen.
Ich möchte, daß ihr wißt:
Bald wird etwas geschehen,
das sehr bedeutsam ist.
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Was macht sie sich so wichtig?
EINE TANTE ELISABETHS:
Was spielt sie sich so auf?
LUDOVIKA:
Unsere Familie steigt empor!
ZWEI BRÜDER LUDOVIKAS:
Helene hab ich schon lange zu Hohem auserseh’n.
Seht das Mädchen euch an: Gebildet,
klug und schön.
EIN EHEPAAR:
Nicht so schön wie unsre!
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was gibt sie bloß so an?
LUDOVIKA:
Ich werd mit Nene nach Bad Ischl fahr’n!
EINE NICHTE LUDOVIKAS:
Von mir aus!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Sehr bedeutsam...!
EINE ENTFERNTE VERWANDTE:
Ist das alles?
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Bad Ischl!?
EINE TANTE ELISABETHS:
Und deshalb sind wir hergekommen?
LUDOVIKA:
Dort treffen wir im August Helenes Tante Sophie.
Sie schreibt, sie möchte uns sehn.
Den Grund erratet ihr nie...
EIN ENTFERNTER VERWANDTER:
Das ist doch des Kaisers Mutter!?
EIN ONKEL ELISABETHS:
Dann ist auch der Kaiser dort!
LUDOVIKA:
Sie möchte, daß Franz Joseph sich mit Helene trifft.
Meine Helene wird Kaiserin von Österreich!
Die Gäste sind wirklich überrascht, Sie reden aufgeregt durcheinander, während Herzogin Ludovika voll Stolz ihre Helene präsentiert.
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Was!?
DAS EHEPAAR (gleichzeitig):
Helene? Kaiserin? Undenkbar!
ZWEI BRÜDER LUDOVIKAS (gleichzeitig):
So ein Glück!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (gleichzeitig):
Gratulation! Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS:
Mit dem Vater? Peinlich!
EINE TANTE ELISABETHS (gleichzeitig):
Dann werden Herzogs bald zu fein sein für unsereins...
VERSCHIEDENE VERWANDTE:
Bravo!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Was für Aussichten!
EINE NICHTE LUDOVIKAS (gleichzeitig):
Das heißt noch nicht, daß er sie nimmt!
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS (gleichzeitig):
Kann nicht schaden, so eine Verbindung...!
Eine Zirkustrompete erklingt. Mehr und mehr Gäste blicken mit erstaunten Gesichtern zum rückwärtigen Prospekt, hinter dem der Schatten der am Trapez schwingenden Elisabeth zu sehen ist.
EINE TANTE ELISABETHS (sieht zur Balustrade hinauf):
Was hat das zu bedeuten?
DAS EHEPAAR:
Das ist doch Sisi!
EIN GROßONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Eine Zirkuseinlage!
EIN SCHWAGER ELISABETHS:
Das hat ihr der Vater beigebracht.
EIN GROßNKEL ELISABETHS: (gleichzeitig):
Völlig verwahrlost, das Kind! Eine Schande!
EINE NICHTE LUDOVIKAS:
Im Trikot!
MEHRERE VERWANDTE (fast gleichzeitig):
Schockierend!
EINE TANTE ELISABETHS:
Mein Gott, wenn sie da herunter fällt!
EIN ONKEL ELISABETHS (gleichzeitig):
Sie wird sich das Genick brechen.
DAS EHEPAAR (gleichzeitig):
Um Himmelswillen!
Endlich wird auch Herzogin Ludovika auf den Auftritt ihrer Tochter aufmerksam...
LUDOVIKA:
Sisi! Hör auf! Sofort!
Doch Elisabeth schwingt immer höher und wilder.
EIN ONKEL ELISABETHS:
Lenk sie nicht ab, sonst fällt sie!
In diesem Moment wechselt das Schwingen die Richtung, die Seile verdrehen sich, das Trapez mit Elisabeth zerreißt den Prospekt und sie stürzt ab.
Ein Aufschrei geht durch die Gäste. Der Tod fängt Elisabeth auf und trägt sie durch den Riß im Prospekt auf die Mittelbühne. Die beiden drehen sich wie in Zeitlupe in einem kurzen Todestanz. Erstmals erklingt das Liebesthema. Lucheni kommentiert von außerhalb die Szene...
LUCHENI:
Per Dio! Es ist Liebe... e cotto!
Der Tod legt Elisabeth in ihr Bett und tritt ein paar Schritte zurück, während Herzogin Ludovika und einige ihrer Gäste herbeieilen. Benommen richtet sich Elisabeth auf.
LUDOVIKA:
Um Himmelswillen!
VERSCHIEDENE VERWANDTE (durcheinander):
Sie lebt! Ein wahres Wunder, die dem Sturz.
Sie hätte sich den Hals brechen können!
Was für ein Schreck!
LUDOVIKA:
Mein Gott, Sisi! Bist du verletzt?
HELENE:
Ihr ist nichts passiert!
ELISABETH:
Mama, wenn ich älter werde,
such mir keinen Mann.
EIN ONKEL ELISABETHS:
Sie phantasiert...
ELISABETH:
Alles, was mich glücklich macht,
kann ich allein.
EIN SCHWAGER LUDOVIKAS:
Se redet wie ihr Vater!
ELISABETH:
Träume und Gedichte schreiben
oder reiten mit dem Wind...
EINE TANTE ELISABETHS:
Sie fiebert!
ELISABETH:
Ich möchte nie gebunden sein!
LUDOVIKA:
Ist schon gut, Sisi. Du legst dich jetzt erst mal ins Bett.
Leonard, schicken Sie nach dem Doktor!
Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth ab. Der Kammerdiener Leonard eilt davon. Die Gäste ziehen sich, den Vorfall mit gedämpften Stimmen kommentierend, zurück. Die Szene versinkt im Dunkel.
3. AUDIENZSAAL DER HOFBURG IN WIEN
In einem Lichtspot auf der Vorderbühne Lucheni. Er hat eine Zeitung gelesen, die er nun zusammenfaltet.
LUCHENI:
Wir schreiben das Jahr achtzehnhundertdreiundfünfzig.
In Wien regiert nun der junge Kaiser Franz Joseph.
Seine Herrschaft beruht auf einem stehenden Heer von
Soldaten, einem sitzenden Heer von Beamten, einem
knienden Heer von Priestern und einem schleichenden
Heer von Denunzianten. Und – auf den Ratschlägen seiner
Mutter, von der man sagt, sie sei der einzige Mann bei
Hofe.
Lichtwechsel. Franz Joseph sitzt am Schreibtisch. Neben ihm steht seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Sie legt Franz Joseph Schriftstücke zur Unterschrift vor. Etwas abseits der kaiserliche Generaladjutant Graf Grünne.
SOPHIE (zu Franz Joseph):
Sei streng! Sei kalt!
Sei hart! Sei stark!
(zum Publikum)
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Mit einem Stab auf den Boden stoßend, kündigt Graf Grünne einen Besucher an.
GRÜNNE:
Der Kardinalerzbischof!
Kardinalerzbischof Rauscher tritt auf. In der Hand hält er eine Schriftmappe.
RAUSCHER:
Majestät, die heilige Kirche stößt auf Widerstand...
SOPHIE:
Empörend!
RAUSCHER:
Majestät, die Kirche wünscht die Schulaufsicht im Land!
Erzherzogin Sophie nimmt von Kardinalerzbischof Rauscher die Mappe, studiert das vorbereitete Schriftstück und legt es mit einem Kopfnicken Franz Joseph vor.
FRANZ JOSEPH:
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt.
RAUSCHER, SOPHIE, GRÜNNE:
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Inzwischen ist eine ganze Gruppe von Besuchern erschienen. Kardinalerzbischof Rauscher tritt zurück und Graf Grünne kündigt Fürst Schwarzenberg an.
GRÜNNE:
Der Herr Minister!
SCHWARZENBERG:
Majestät, das Volk will uns Minister kontrollier’n.
SOPHIE:
Wie lachhaft!
SCHWARZENBERG:
Ich schlag’ vor, die Staatsverfassung schnellstens zu kassier’n.
Fürst Schwarzenberg erhält ein zustimmendes Nicken und zurück. Nacheinander treten weitere Besucher vor, jeweils angekündigt durch ein Klopfen mit dem Audjutantenstab.
BARON KEMPEN:
Majestät, das Spitzelwesen ist noch nicht perfekt.
SOPHIE:
Verbessern!
BARON HÜBNER:
Majestät, erlauben Sie mein Eisenbahnprojekt!
FRANZ JOSEPH:
Gewährt!
Franz Joseph unterschreibt zwei von Erzherzogin Sophie zugereichte Dekrete.
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (seine Prinzipien rekapitulierend):
Nur an das Ganze denken,
kein Gefühl verschenken.
Emsig, brav und schlicht:
Ein Diener der Pflicht.
LUCHENI (den Adjutanten nachäffend):
Eine Mutter!
Die Todesengel bringen die Mutter eines Verurteilten herein. Sie fällt vor Franz Joseph auf die Knie.
MUTTER:
Majestät, mein Sohn rief „Freiheit" und kam vor Gericht –
SOPHIE:
Erfreulich!
MUTTER:
Gnade! Gnade!
Was auch war, den Tod verdient er nicht!
Franz Joseph steht auf. Er ringt mit sich.
FRANZ JOSEPH:
Wenn ich so könnte, wie ich wollte...
Müßt’ ich nicht das tun, was ich sollte,
dann wär’ ich lieber mitleidsvoll und gut.
SOPHIE (teilweise gleichzeitig):
Sei streng! Sei stark!
Sei kalt! Sei hart!
Sei kalt! Sei hart!
FRANZ JOSEPH:
Abgelehnt!
Die Mutter des Verurteilten schreit verzweifelt auf. Sie wird von den Todesengeln von der Bühne gezogen. Franz Joseph setzt seine Schreibarbeit fort.
SOPHIE:
Was liegt noch an?
GRÜNNE:
Die Besprechung der politischen Lage.
Ein livrierter Lakai hat inzwischen eine Karte vom östlichen Mittelmeer entrollt. Fürst Schwarzenberg erläutert die gegenwärtige Krisensituation.
SCHWARZENBERG:
Majestät, der Krimkrieg droht sich ernsthaft auszuweiten.
Daß wir Rußland diesmal beisteh’n
ist nicht zu vermeiden.
Rußland danken wir die Rettung
vor der Revolution.
Außerdem: ein Stück Türkei
erhalten wir als Lohn!
Franz Joseph sieht ratlos seine Mutter an. Erzherzogin Sophie zuckt die Schultern. Franz Joseph wendet sich an seinen Adjutanten.
FRANZ JOSEPH:
Wie beurteilen Sie die Lage, Graf Grünne?
GRÜNNE:
Stehn wir zu Rußland,
grollt uns England.
Gehen wir mit England,
zürnt uns Rußland.
In jedem Fall – ein Bündnis wär’ fatal.
SCHWARZENBERG:
Wir müssen uns entscheiden!
SOPHIE:
Der Kaiser von Österreich muß gar nichts!
ALLE (außer Franz Joseph):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
ALLE (außer Franz Joseph und Sophie):
Jedem gibt er das Seine,
alles bringt er ins Reine –
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
FRANZ JOSEPH (gleichzeitig, seine Prinzipien rekapitulierend):
Sich nie zu früh entscheiden,
Ja und Nein vermeiden,
Habsburgs Vorteil sehn
und Opfern entgehn.
SOPHIE (gleichzeitig):
Sei glatt! Sei falsch! Sei schlau!
GRÜNNE:
Ich darf Majestät untertänigst daran erinnern,
daß die Kutsche nach Bad Ischl wartet.
SOPHIE:
Meine Herren, die Audienz ist beendet!
SCHWARZENBERG:
Aber... Was soll ich nun dem russischen Botschafter sagen?
SOPHIE:
Kriege sollen andere führen.
Das glückliche Österreich heiratet...
Erzherzogin Sophie wirft Franz Joseph einen aufmunternden Blick zu. Er hebt sich und geht mit ihr ab, gefolgt von Graf Grünne. Alle anderen bilden, sich verbeugend eine Reihe...
SCHWARZENBERG, RAUSCHER, BARON KEMPEN,
BARON HÜBNER, LAKAI:
Gott erhalte, Gott beschütze
uns den jungen Kaiser!
Blackout. Verwandlung.
4. BAD ISCHL
Lucheni mimt eine Gepäckträger.
LUCHENI:
Vor der Villa Eltz in Bad Ischl!
Ein Sommer in Bad Ischl ist immer eine Reise wert,
und das Herz so hoffnungsvoll.
Sophie hat ihrer Schwester die Sache gut erklärt,
doch sie läuft nicht, wie sie soll –
Eine Kutsche fährt vor, aus der Herzogin Ludovika, Helene, Elisabeth und die Gouvernante aussteigen. Von der anderen Seite tritt Erzherzogin Sophie auf, begleitet von Gräfin Esterházy-Liechtenstein. Dienerschaft kümmert sich um das Gepäck.
SOPHIE:
Warum kommt ihr erst jetzt?
LUDOVIKA:
Ein Wetter hielt uns auf!
Wir brauchen jetzt ein wenig Ruhe...
SOPHIE:
Wo denkst du hin?
Der Kaiser erwartet euch um vier –
LUDOVIKA:
Was?
HELENE:
Schon?
SOPHIE:
Wie sieht Helene aus?
LUDOVIKA:
Max läßt sich entschuldigen... Doch
ich hab’ Sisi mitgebracht.
SOPHIE:
Das Kleid ist ganz unmöglich!
Scheußlich die Frisur!
HELENE:
Ich zieh mich um!
SOPHIE:
Das geht nicht mehr! Einen Kaiser läßt man nicht warten!
Alle verschwinden. Verwandlung. Im Inneren der Villa Eltz wartet der junge Franz Joseph sichtlich nervös auf die Gäste. Diener stellen Sessel und einen Tisch bereit.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Quel bel progetto! Sarebbe bello cosi! Ma attentione:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika, Helene und Elisabeth betreten den Salon der Villa. Franz Joseph begrüßt die Verwandten. Man nimmt in den Fauteuils Platz.
LUCHENI:
Die Mütter sind gesprächig,
der junge Kaiser schweigt.
Die Heiratskandidatin schwitzt.
Die Sache wird genierlich,
weil jetzt der Kaiser zeigt,
daß er Eigensinn besitzt.
SOPHIE:
Nun, Franz Joseph, sag rundheraus,
wie sie dir gefällt –
FRANZ JOSEPH:
Wer?
SOPHIE:
Deine reizende Cousine –
FRANZ JOSEPH:
Wie eine frische Mandel...
LUDOVIKA:
Wie was?
FRANZ JOSEPH:
... die grad zerspringt.
Erzherzogin Sophie wirft Herzogin Ludovika einen bedeutungsvollen Blick zu.
SOPHIE:
Das ist ja beinahe Poesie!
FRANZ JOSEPH:
Sie hat so liebe, sanfte Augen... und Lippen
rot wie Erdbeeren.
SOPHIE:
Und ein ordentliches Becken!
LUDOVIKA:
So?
FRANZ JOSEPH:
Auf dem Ball heut abend tanz ich...
SOPHIE:
Ja?
FRANZ JOSEPH:
nur mit ihr!
LUDOVIKA:
Er mag sie!
SOPHIE:
Nun, dann lad’ sie ein...
(zu Helene)
Steh auf!
(zu Franz Joseph)
Geh zu ihr! Nimm sie in den Arm!
Franz Joseph erhebt sich, sichtlich verlegen. Helene nimmt lächelnd Haltung an und bietet Franz Joseph die Hand. Dieser tritt einen Schritt zurück, dreht sich schließlich abrupt um und ergreift Elisabeths Hände, um sie zu sich zu ziehen. Elisabeth ist wie alle anderen überrascht.
LUDOVIKA:
Wie?
SOPHIE:
Die?
Herzogin Ludovika und Erzherzogin Sophie blicken sich entsetzt an.
LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Erzherzogin Sophie, Herzogin Ludovika und Helene sind entsetzt aufgesprungen. Franz Joseph hält Elisabeth bei den Händen und himmelt sie an.
HELENE:
Drei Jahre probiert – französisch parliert,...
FRANZ JOSEPH & ELISABTH:
Ich war sehr besorgt...
HELENE:
... Manieren einstudiert.
ELISABETH:
... mich hier zu langweilen.
SOPHIE & LUDIVIKA:
Drei Jahre Ermahnung, Erziehung und Planung...
FRANZ JOSEPH:
Mama könnte die Verlobung übereilen.
ELISABETH:
Alles...
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE & LUDOVIKA:
Umsonst! Alles umsonst!
LUCHENI (gleichzeitig):
Umsonst!
ELISABETH, HELENE, FRANZ JOSEPH,
SOPHIE, LUDOVIKA, LUCHENI:
Was nützt ein Plan – ist er auch noch so schlau!?
Er bleibt doch immer Theorie.
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
LUCHENI:
Und nur das eine weiß man ganz genau:
So wie man plant und denkt, so kommt es nie!
Alle ab. Lichtwechsel. Verwandlung.
5. ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Am 13. März 1854 trifft der junge Kaiser Franz Joseph seine Braut Elisabeth in Possenhofen. Zum ersten mal sind die Verlobten alleine.
FRANZ JOSEPH:
Eins mußt du wissen,
ein Kaiser ist nie für sich allein.
Mit mir zu leben, wird oft nicht einfach für dich sein.
ELISABETH:
Was andre wichtig finden,
zählt nicht für mich.
FRANZ JOSEPH:
Vieles wird sich ändern...
ELISABETH:
Doch ich hab’ ja dich!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Nichts ist schwer,
solang du bei mir bist.
Wenn ich dich hab’, gibt es nichts,
was unerträglich ist.
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
FRANZ JOSEPH:
Im Joch der vielen Pflichten
geht mancher Traum verlor’n...
ELISABETH:
Doch unser Traum bleibt nah!
FRANZ JOSEPH:
Wir sind nicht wie die andern
zum Glücklichsein gebor’n.
ELISABETH:
Doch füreinander da!
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Du wirst das Leben bald
durch meine Augen sehn.
Und jeden Tag mich ein wenig
mehr verstehn...
Inzwischen hat Franz Joseph ein Kollier in den Händen, das er Elisabeth um den Hals hängt. Das Orchester übernimmt die Chorusmelodie.
FRANZ JOSEPH:
Hier nimm diese Kette... als Zeichen,
daß du nun bei mir bist.
ELISABETH:
Wie kostbar!
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich... Ich brauch dich!
ELISABETH:
Wie schwer die Kette ist...
ELISABETH:
Wenn ich meinen Mut mal verlier,
finde ich ihn wieder bei dir.
Es fehlt mir nichts,
wenn du nur bei mir bist.
FRANZ JOSEPH:
Ich lieb dich.
ELISABETH:
Ich lieb dich.
ELISABETH & FRANZ JOSEPH:
Ich brauch dich... Laß mich nie allein!
Langsam versinkt die Szene im Dunkel. Verwandlung.
6. AUGUSTINERKIRCHE IN WIEN
Lucheni setzt seine Erzählung fort.
LUCHENI:
Halb sieben Uhr abends in der Wiener
Augustinerkirche. Merkwürdige Zeit für eine Trauung. Aber
passend an diesem 24. April 1854. Sehr passend,
porca miseria!
Orgelklang. Zehntausend Kerzen erhellen die festlich geschmückte Kirche. Groteske Hochzeitsgäste – Österreichs Hochadel und Würdenträger aus ganz Europa – ziehen in die Kirche ein.
HOCHZEITSGÄSTE:
Alle Fragen sind gestellt
und alle Phrasen eingeübt.
Wir sind die letzten einer Welt,
aus der es keinen Ausweg gibt.
Die Tugenden sind einstudiert,
und alle Flüche sind gesagt,
und alle Segen revidiert.
Die Häßlichkeit empört uns nicht.
Die Schönheit scheint uns längst banal.
Die gute Tat belehrt uns nicht.
Die böse Tat ist uns egal.
Denn alle Wunder sind geschehn
und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn,
uns alle Klänge totgehört.
Alle Fragen sind gestellt,
und alle Chancen sind verschenkt.
Wir sind die Letzten einer Welt,
die stets an ihren Selbstmord denkt.
Und alles, alles was passiert,
hilft uns, die Zeit zu überstehn.
Weil jedes Leid uns delektiert,
sehn wir dich gerne untergehn
Elisabeth...
Elisabeth.
Das Brautpaar ist inzwischen vor den Altar getreten. Kardinalerzbischof Rauscher wendet sich im Rahmen der Trauungszeremonie an Elisabeth.
RAUSCHER:
... Wenn das Euer Wille ist, so antwortet mit Ja!
Ein Augenblick atemlose Stille.
ELISABETH (nach einem Blick zu ihrer Mutter):
Ja!
Drohend hallen dumpfe Glockentöne und der Klang von Böllerschüssen von draußen herein. Das Brautpaar wechselt die Ringe. Auf der Hinterbühne sieht man den Tod am Strang einer riesigen Totenglocke ziehen.
Verwandlung.
7. BALLSAAL IM SCHLOß SCHÖNBRUNN
Vor die Kirchenszene fällt ein Prospekt, der ein überdimensioniertes Orchestrion zeigt. Nach Art eines Adventskalenders besteht er aus lauter Klapptüren, die sich nach und nach öffnen und so immer vollständiger den Blick in den dahinter liegenden illuminierten Ballsaal freigeben, in dem die Hochzeitsgäste und das Brautpaar tanzen...
Aus der ersten Türe der Orchestrions tritt Herzog Max, aus einer Zweiten gleich darauf die Erzherzogin Sophie. Unabhängig voneinander äußern beide ihre Unzufriedenheit mit der Hochzeit.
MAX:
Liebe macht dumm!
Sisi gibt für ihn
auf, was das Leben verschönt.
Wien bringt sie um.
Sie sollte fliehn,
ehe sie sich dran gewöhnt.
SOPHIE:
Liebe macht blind!
Franz weiß nicht, was er tut.
Er hat auf mich nicht gehört.
MAX:
Warum mußte es der sein?
SOPHIE:
Seh ich das Kind,
packt mich die Wut.
Sie hat meine Pläne zerstört.
Der Kleinen fehlt fast alles...
MAX (gleichzeitig):
Dem Kaiser fehlt fast alles...
SOPHIE:
... was eine Kaiserin braucht.
MAX:
... was meine Sisi braucht.
SOPHIE:
Ich seh sie...
MAX & SOPHIE:
... und denk bei mir:
SOPHIE:
Er paßt nicht zu ihr!
MAX:
Sie paßt nicht zu ihm!
SOPHIE:
Er paßt nicht...
MAX & SOPHIE:
... er paßt nicht, er paßt nicht zu ihr!
Lichtwechsel. In Gruppen stehen die Hochzeitsgäste am Rande der Tanzfläche, auf der weiter getanzt wird. Sie reden über das Thema des Tages – die junge Braut und die neue Kaiserin. Erzherzogin Sophie und Herzog Max verlieren sich in der Gesellschaft.
EIN ALTER ARISTOKRAT:
Was für eine schöne Trauung!
EIN JUNGER ARISTOKRAT:
Der Rauscher hat zu lang geredet.
IHRE EHEFRAUEN:
Wie immer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe; gleichzeitig):
Wirklich süß!
Rührend naiv! Und weich wie Wachs! Redet nicht viel.
EINE GRÄFIN:
Wie gefällt ihnen die neue Kaiserin?
ZWEI ARISTOKRATINNEN:
Aussehen tut sie nett.
DREI ARISTOKRATINNEN:
Sie ist wirklich lieb!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Neu am Hof,
einfach zu führn. Mit der haben wir leichtes Spiel!
EIN GREIS:
Ihr Stammbaum hat zwar Fehler...
EIN JUNGER FÜRST:
Das woll’n wir übersehn!
ARISTOKRATINNEN:
Ein Kind noch!
ARISTOKRATEN:
Es gibt schlechte Omen...
GRÄFIN (gleichzeitig):
Sie ist freundlich...
ARISTOKRATEN:
... In der Schatzkammer...
MEHRERE ARISTOKRATINNEN (gleichzeitig):
Sie ist schüchtern!
ARISTOKRATEN:
... fiel die Krone zu Boden...
SOPHIE:
Sie ist naiv!
ARISTOKRATINNEN:
Und beim Aussteigen aus der Kutsche...
ARISTOKRATEN:
Etwas linkisch!
ARISTOKRATINNEN:
... verlor die junge Kaiserin...
ARISTOKRATEN:
Sie tut sich...
ARISTOKRATINNEN:
... beinah ihr neues Diadem.
ARISTOKRATEN:
... noch schwer!
HOCHZEITSGÄSTE (erste Gruppe):
Es ist fast wie im Märchen:
Ein Kind wird Kaiserin!
So was gibt es sonst nicht mehr!
HOCHZEITSGÄSTE (zweite Gruppe):
Rot geweinte Augen! Ungeschickt und brav!
So entzückend hilflos wie ein Schaf.
Hat kein Gewicht, ist ein kleines Licht.
ARISTOKRATINNEN:
Sie paßt gut hierher!
ARISTOKRATEN:
Sie paßt gut hierher!
SOPHIE:
Sie paßt nicht hierher!
MAX:
Sie paßt nicht hierher!
ARISTOKRATEN & ARISTOKRATINNEN:
Sie paßt gut...
MAX & SOPHIE:
Sie paßt nicht...
ALLE:
... sie paßt gut / nicht hierher!
Lichtwechsel. Inzwischen hat sich das Orchestrion ganz aufgelöst. Der Blick geht in den strahlend hellen Ballsaal. Noch einmal beteiligen sich alle Hochzeitsgäste am Tanz. Der Hochzeitswalzer wird zunehmend dissonanter, während der Tod mit seinen Engeln erscheint. Er geht durch die Tanzenden, die leblos niedersinken. Nur das Kaiserpaar tanzt weiter. Der Tod grüßt Elisabeth, sie lächelt ihm zu.
Die Musik wechselt. Franz Joseph erstarrt im Tanz. Der Tod löst Elisabeth aus dessen Armen und tanzt selbst mit ihr.
TOD:
Es ist ein altes Thema, doch neu für mich.
Zwei, die dieselbe lieben – nämlich dich.
Du hast dich entschieden: Ich hab’ dich verpaßt.
Bin auf deiner Hochzeit nur der Gast.
Du hast dich abgewendet. Doch nur zum Schein.
Du willst ihm treu sein, doch du lädst mich ein.
Noch in seinen Armen lächelst du mir zu.
Und wohin das führ’n wird, weißt auch du –
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich nur mit dir.
Die Zeit wird alt und müde, der Wein wird schal.
Die Luft ist schwül und stickig im Speisesaal.
Unsichtbare Augen, sehn uns beiden zu.
Alle warten auf das Rendezvous.
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
Und so wart ich Dunkeln und schaue zu dir hin
als der große Verlierer. Doch ich weiß, ich gewinn!
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir.
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz ich allein mit dir.
TOD & BALLGÄSTE:
Der letzte Tanz, der letzte Tanz
gehört allein nur mir (dir).
Den letzten Tanz, den letzten Tanz
tanz (tanzt) ich (du) nur mit dir (ihr).
ANDERE BALLGÄSTE (gleichzeitig):
Wien am Ende. Zeitwende.
Alle Fragen sind gestellt.
Der Tod geht ab. Lichtwechsel. Das Kaiserpaar ist scheinbar alleine. Elisabeth berührt mit zaghafter Zärtlichkeit Franz Josephs Wange.
Aus dem Dunkel von beiden Seiten Volk auf, gaffende Gestalten aus allen Bevölkerungsschichten. Mit einer Geste fordert Lucheni das Volk auf, sich dem Paar zu nähern.
Franz Joseph und Elisabeth umarmen sich. Ihr Liebesthema klingt auf. Die Gaffer recken die Hälse. Lucheni ahmt einen Jahrmarktsschreier nach. Mit einer einladenden Handbewegung ermutigt er die Gaffer, jedes Taktgefühl aufzugeben.
LUCHENI:
Treten Sie näher, meine Herrschaften. Werden
Sie Zeuge, wie der Kaiser von Österreich seine Braut zur
Gattin macht. Der Vollzug der Ehe ist die Voraussetzung
für die Geburt des Thronfolgers. Deshalb, verehrtes
Publikum, ist diese Umarmung von öffentlichem Interesse...!
Elisabeth löst sich aus der Umarmung. Erschrocken blickt sie in die gaffenden Gesichter. Hastig zieht sie Franz Joseph weg, um an anderer Stelle mit ihm ungestört zu sein. Doch da stehen schon andere Gaffer. Daraufhin verzichtet sie auf weitere Zärtlichkeiten.
ELISABETH:
Wenn du bloß kein Kaiser wärst,
gäb’ es gar nichts, was und trennt.
Elisabeth drängt Franz Joseph zu gehen. Die Gaffer folgen feixend. Lucheni sieht dem Brautpaar nach.
LUCHENI:
Das Vöglein ist in den Käfig geflogen, die Gittertür
wird zugemacht. Kann man’s dem Volk verdenken,
daß es das Tierchen besichtigen will? Eine Rarität, in
Freiheit geboren und noch nicht dressiert!
Lichtwechsel. Verwandlung.
8. ELISABETHS GEMÄCHER IM SCHLOß LAXENBURG
Es ist früher Morgen. Die Erzherzogin stattet ihrer Schwiegertochter einen nicht angekündigten Besuch in Laxenburg ab. Begleitet von einer Hofdame und einem Trupp von Zofen, rauscht Erzherzogin Sophie in das Appartement der Kaiserin. Elisabeths oberste Hofmeisterin, die Gräfin Esterházy-Liechtenstein, kommt Erzherzogin Sophie mit unterwürfiger Miene entgegen.
SOPHIE:
Wo ist die Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Sie schläft noch, Hoheit!
SOPHIE:
Dann ist es höchste Zeit, sie aufzuwecken!
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein verschwindet. Erzherzogin Sophie erläutert ihrer Begleiterin den Zweck des Besuches.
SOPHIE:
Die Kaiserin ist noch sehr jung.
Sie braucht noch manche Förderung.
Zeit, daß sie lernt, was sich gehört.
Zeit, daß sie jemand lehrt, sich zu fügen.
Sie ist verbauert ganz und gar.
HOFDAME:
Ganz recht!
SOPHIE:
Nimmt ihre Pflichten hier nicht wahr.
HOFDAME:
Sehr schlecht!
SOPHIE:
Hat das Gehorchen nicht geübt, ist in
sich selbst verliebt und nicht streng mit sich.
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
HOFDAME:
In der Tat!
Elisabeth und die Gräfin Esterházy-Liechtenstein kommen aus dem Schlafzimmer. Elisabeth trägt nur ein Morgenrock über dem Nachthemd. Sie ist noch ziemlich verschlafen.
ELISABETH:
Was ist den los?
SOPHIE:
Mein Kind, man schläft hier nicht so lang.
ELISABETH:
Warum?
SOPHIE:
Ich dulde keinen Müßiggang!
ELISABETH:
Ich war so müde...
SOPHIE:
Um fünf Uhr früh beginnt der Tag,
pünktlich zum Glockenschlag jeden Morgen.
ELISABETH:
Aber Franz Joseph hat mit gesagt,
ich sollte mich heut mal ausruhn.
SOPHIE:
Ausruhn wovon? Ich hab gefragt.
Ich weiß, daß du dich heut nacht geschont hast.
ELISABETH:
Das kann nicht sein...
SOPHIE:
Das sagte ich auch –
ELISABETH:
... Er würde mich nicht an Sie verraten!
SOPHIE:
Vor mir hält mein Sohn gar nichts geheim.
ELISABETH:
Das ist nicht wahr!
SOPHIE:
Dann frag ihn doch selber...
Gibt ihrer Hofdame ein Zeichen. Diese geht ab, um Franz Joseph zu holen.
ELISABETH:
Das werd’ ich –
SOPHIE:
Er kam mit mir her!
Sie bemüht sich, sachlich zu bleiben.
Glaub mir, mein Kind, ich mein es gut.
ELISABETH:
Natürlich.
SOPHIE:
Ich wünsche keinerlei Disput!
ELISABETH:
Ich auch nicht.
SOPHIE:
Richte dich nach dem Zeremoniell,
dann bin ich schnell mit dir zufrieden.
ELISABETH:
Ich will heut reiten –
SOPHIE:
Ordinär!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Und zu riskant!
SOPHIE:
Man treibt als Kaiserin nicht umher.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Wie degoutant!
ELISABETH:
Warum den nicht?
SOPHIE:
Weil man nicht soll, was nach dem
Protokoll streng verboten ist.
SOPHIE & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE:
Zeig mir mal deine Zähne her!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Aus gutem Grund.
ELISABETH:
Die Zähne?
SOPHIE:
Ja! Ist das so schwer?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Öffnen sie den Mund!
Elisabeth zeigt Erzherzogin Sophie die Zähne.
SOPHIE:
Die sind zu gelb, das darf nicht sein.
ELISABETH:
Bin ich ein Pferd? –
SOPHIE:
Nein! Jedoch ein Vorbild –
ELISABETH:
Sie kritisieren an mir nur herum.
Was ich auch will, ist verboten –
SOPHIE:
Ich will, daß du zur Kaiserin wirst.
Du bist noch nicht gezähmt und gezogen!
ELISABETH:
Ich glaub’, Sie sind nur neidisch auf mich...
SOPHIE:
Neidisch auf dich?!
Das ist wirklich komisch!
Franz Joseph und die Hofdame betreten das Zimmer.
ELISABETH:
Ich will... –
SOPHIE:
Lern’ erst mal bescheiden zu sein.
ELISABETH:
Ich möchte... –
SOPHIE:
Nein!
ELISABETH:
Hilf mir, Franz Joseph! Sieh, wie deine Mutter mich quält!
HOFDAME & GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Eine Kaiserin muß glänzen
im Bewußtsein ihrer Pflichten.
Muß die Dynastie ergänzen
und verzichten.
SOPHIE (gleichzeitig):
Überlaß sie mir Sohn!
Ich erzieh, ich erzieh sie schon. Überlaß sie mir,
mein Sohn! Ich erzieh sie schon.
ELISABETH (gleichzeitig):
Sie quält mich, sie sperrt mich ein!
Hilf mir, laß mich nicht allein!
FRANZ JOSEPH:
Ich stünde gern an deiner Seite... Doch es
wär’ besser für uns beide, wenn du dem Rat meiner
Mutter folgst...
SOPHIE:
Sei streng! Sei stark!
ELISABETH:
Also, läßt du mich im Stich...
Sie dreht sich abrupt um und geht allein zur Rampe. Franz Joseph macht Anstalten, ihr zu folgen, wird aber von Erzherzogin Sophie zurückgehalten.
Lichtwechsel.
ELISABETH:
Ich will nicht gehorsam,
gezähmt und gezogen sein.
Ich will nicht bescheiden, beliebt und betrogen sein.
Ich bin nicht das Eigentum von dir,
denn ich gehör nur mir.
Ich möchte vom Drahtseil herabsehn auf diese Welt.
Ich möchte aufs Eis gehen und selbst sehn,
wie lang’s mich hält.
Was geht es dich an, was ich riskier!?
Ich gehör nur mir.
Willst du mich belehren
dann zwingst du mich bloß,
zu fliehn vor der lästigen Pflicht.
Willst du mich bekehren, dann reiß ich mich los
und flieg wie ein Vogel ins Licht.
Und will ich die Sterne, dann finde ich selbst dorthin.
Ich wachse und lerne und bleibe doch wie ich bin.
Ich wehr mich, bevor ich mich verlier!
Denn ich gehör nur mir.
Ich will nicht mit Fragen und Wünschen belastet sein,
vom Saum bis zum Kragen von Blicken betastet sein.
Ich flieh’, wenn ich fremde Augen spür’.
Denn ich gehör nur mir.
Und willst du mich finden, dann halt mich nicht fest.
Ich geb’ meine Freiheit nicht her.
Und willst du mich binden, verlaß ich dein Nest
und tauch wie ein Vogel ins Meer.
Ich warte auf Freunde und suche Geborgenheit.
Ich teile die Freude, ich teile die Traurigkeit.
Doch verlang nicht mein Leben,
das kann ich dir nicht geben.
Denn ich gehör nur mir.
Nur mir!
Verwandlung.
9. STATIONEN EINER EHE
Auf einem Prospekt der Parkansicht des Schönbrunner Schlosses. Lucheni tritt als Filmvorführer auf, stellt Stativ und Vorführgerät hin und projiziert frühe Aufnahmen aus der österreichischen Kaiserzeit auf den Prospekt.
LUCHENI:
Den Tod verdrießt es sehr, Elisabeth am Wiener
Hof zu sehn. Schließlich ist er abgeblitzt, man kann seinen
Groll verstehn. Drum: wenn trotz Milch und Honig ihr das
Leben hier nicht schmeckt, dann könnt’ es durchaus
möglich sein, daß er dahinter steckt.
Im ersten Ehejahr läßt sie der Kaiser viel allein. Was tut’s?
Ihr Papagei hat immer für sie Zeit.
Im zweiten Ehejahr kriegt sie ihr erstes Töchterlein und
wird von ihren Mutterpflichten prompt befreit.
Der Prospekt öffnet sich und gibt in einem Ausschnitt den Blick auf eine Szene im Inneren des Schlosses frei: Elisabeth steht vor ihrem Papageienkäfig , ihr gegenüber die Erzherzogin Sophie samt Hofdamen und den Zofen. Dazwischen Franz Joseph.
ELISABETH:
Wo ist meine Kleine?
SOPHIE:
Ich nehme mich ihrer an!
ELISABETH:
Ich will mein Kind wiederhaben!
SOPHIE:
Du siehst es dann und wann.
ELISABETH:
Ohne mich zu fragen, tauften Sie es Sophie. –
Ausgerechnet Ihren Namen!
SOPHIE:
Ich kümm’re mich um sie!
ELISABETH:
Franz Joseph, deine Mutter
quält mich in einem fort!
Jetzt hat sie mein Kind gestohlen –
sprich ein klares Wort!
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Sie ist ja selbst noch fast ein Kind –
Sie kann kein Kind erziehn!
FRANZ JOSEPH:
Beruhig dich nur, mein Engel! Mama weiß,
was sie tut! Hat mit Kindern viel Erfahrung, und sie
meint es gut.
SOPHIE & HOFDAMEN (gleichzeitig):
Bedarf noch selbst der starken Hand – Am Kaiserhof von Wien.
ELISABETH:
Ich versteh, du stellst dich...
FRANZ JOSEPH:
Ich will keinen Streit...
ELISABETH:
... gegen mich!
FRANZ JOSEPH:
Versteh mich doch. Ich kann nicht anders.
ELISABETH:
Mein Kind! Ich will mein Kind!
Der Ausschnitt im Prospekt schließt sich wieder und die Szene verschwindet. Lucheni setzt seine Filmvorführungen fort.
LUCHENI:
Im dritten Ehejahr kommt wieder eine Tochter
an. Die Mutter heult umsonst – das Kind wird requiriert.
Und langsam wird ihr klar, daß sie nur was erreichen kann,
wenn man von ihr was will und sie den Preis diktiert.
Erneut öffnet sich der Prospekt. Wir sehen das Eßzimmer des Kaiserpaares. An anderer der Bühne berät die Hofkamarilla.
FRANZ JOSEPH:
Auch deine Schönheit kann uns politisch nützlich sein.
KAMARILLA (außer Graf Grünne):
Ihre Schönheit kann uns nützen...
GRÜNNE (gleichzeitig):
Man muß die, die sich empören,
mit der Knute niederzwingen...
FRANZ JOSEPH:
Komm mit nach Ungarn, setz’ deinen Zauber für mich ein.
KAMARILLA (außer Graf Grünne; gleichzeitig):
... kann die Macht des Kaisers stützen
GRÜNNE (gleichzeitig):
... und danach mit Charme betören,
um vom Hals sie abzubringen.
ELISABETH:
Ich möchte meine Kinder.
Hol sie zuerst zurück.
Dann will ich dich gern begleiten im Dienst der Politik.
KAMARILLA (gleichzeitig):
Ungarn und Italien sind vernarrt in schöne Frauen...
ELISABETH:
Sie müssen mit mir reisen.
FRANZ JOSEPH:
Dafür sind sie zu klein.
KAMARILLA (gleichzeitig):
Österreich kann mehr denn je...
ELISABETH:
Mit ihnen oder gar nicht!
FRANZ JOSEPH:
Bitte, dann soll es sein.
KAMARILLA (gleichzeitig):
... auf Charme und Liebreiz bau’n.
Der Prospekt schließt sich, die Szene verschwindet. Die Hofkamarilla geht ab. Lucheni packt sein Vorführgerät zusammen.
LUCHENI:
So reist im vierten Ehejahr samt den zwei Kindern
das Kaiserpaar nach Ungarn, wo jemand auf sie wartet.
Sie wissen schon wer? – Oder...?
Lucheni ab. Der Prospekt geht hoch und gibt den Blick frei auf den Schloßplatz von Debrezin am Abend. Franz Joseph und Elisabeth begrüßen eine Gruppe ungarischer Magnaten. Drei Aristokraten kommentieren den Auftritt Elisabeths mit gedämpften Stimmen.
EIN JUNGER UNGAR:
Die Kaiserin ist schön.
EIN EHEMALIGER REVOLUTIONÄR:
Wie steht sie zu Ungarn?
EIN ÄLTERER ARISTOKRAT:
Sie liebt alles, was ihre Schwiegermutter haßt.
EIN EHEMALIGER REVOLUTIONÄR:
Dann wird sie uns unterstützen.
EIN JUNGER UNGAR:
Sie sieht traurig aus.
EIN ÄLTERER ARISTOKRAT:
Ihre Kinder sind krank. Die kleine
Sophie soll hohes Fieber haben.
EIN JUNGER UNGAR:
Die Sorge macht sie noch schöner.
Die Kutsche des Todes fährt herein. Der Tod steigt aus und geht auf Elisabeth zu. Auf sein Zeichen öffnet ein Todesengel die Tür der Kutsche. Man sieht in ihrem Innern einen offenen Kindersarg mit der Leiche der zweijährigen Sophie.
ELISABETH:
Nein!!
Der Tod fordert Elisabeth mit einer lasziven Geste auf, ihm zu folgen.
TOD:
Weißt du noch, wie wir erbebten,
als wir zwei im Tanze schwebten?
Du brauchst mich. Ja, du brauchst mich.
Gib doch zu, daß du mich mehr liebst,
als den Mann an deiner Seite.
Auch wenn du ihm scheinbar mehr gibst,
du ziehst ihn in die Nacht.
Das Licht hat sich unterdessen ganz auf den Tod konzentriert. Die Gruppe im Hintergrund verschwindet im Dunkel.
Die Schatten werden länger.
Es wird Abend, eh’ dein Tag begann.
Die Schatten werden länger.
Diese Welt zerfällt, halt dich nicht fest daran!
Elisabeth scheint einen Moment lang unentschlossen, bevor sie sich vor dem Tod zu Franz Joseph flüchtet. An ihm hält sie sich fest.
Blackout. Verwandlung.
10. EIN WIENER KAFFEEHAUS
Lucheni als Kaffeehauskellner auf dem Weg von der Küche zur Gaststube.
LUCHENI:
Ma que cazzo voi! Die Welt geht unter, indubbiamente.
Bei Hof hat man das noch nicht bemerkt. Aber in
den Kaffeehäusern von Wien weiß das jeder.
Die Szene wird hell. An runden Tischen verschiedenen Kaffeehausbesucher. Sie lesen Zeitung, rauchen Zigarren, schreiben, spielen Schach, langweilen und unterhalten sich. Lucheni serviert und nimmt Bestellunge auf.
PROFESSOR:
Was steht im Feuilleton?
JOURNALIST:
Wie schmeckt heut die Bouillon?
STUDENT:
Spielt irgendwer mit mir Skat?
BOHEMIEN:
Mein Gott, ist mir wieder fad!
POET:
Unsre junge Kaiserin weint den ganzen Tag.
Sie ißt nicht mehr, seit sie ihr Kind verlor.
BOHEMIEN:
Noch eine Melange!
LUCHENI:
Noch eine Melange.
PROFESSOR:
Schwanger ist sie wohl auch!
JOURNALIST:
Sie zeigt nicht mehr den Bauch.
LUCHENI & POET:
Zu lang entbehren wir schon den Erben für den Thron.
JOURNALIST:
In Zirkus Renz war sie neulich zu Gast.
PROFESSOR:
Der Mutter des Kaisers hat’s gar nicht gepaßt.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
LUCHENI:
Schwätzer! Wissen alles und nichts. Hocken da
per ingannare il tempo. Schlagen die Zeit tot. Tagaus,
tagein.
POET:
Wieder ein Jahr vorbei!
BOHEMIEN:
Das ist mir einerlei!
PROFESSOR (in der Zeitung lesend):
Wir haben ein Konkordat!
STUDENT:
Wer spielt heut mit mir Skat?
JOURNALIST:
Unser junger Kaiser zeigt nicht viel Geschick.
Jedenfalls nicht in der Politik.
BOHEMIEN:
Noch ein Likör!
PROFESSOR:
Der letzte Krieg um die Krim hat uns neutralisiert.
JOURNALIST:
Und jetzt ist Österreich politisch ganz isoliert.
PROFESSOR:
Frankreich, England, Rußland
stehn in einer Front.
Und jetzt gibt es Krieg im Piemont.
ALLE (außer Lucheni):
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
STUDENT:
Diesmal war es ein Sohn, wer hätt’ es geglaubt.
POET:
Und auch ihn hat man gleich der Mutter geraubt.
JOURNALIST:
Ich hab erfahr’n, sie mag die Magyarn!
PROFESSOR:
Denkt sie liberal?
BOHEMIEN:
Ist sie radikal?
ALLE (außer Lucheni):
Sie ist eine seltsame Frau!
No, und wenn schon, gut für die Apokalypse.
LUCHENI:
Als Rudolf zur Welt kam,
hatte die Mutter im Wochenbett
eine schreckliche Vision.
Sie sah rote Fahnen,
Massen von Menschen am Ballhausplatz
mit Fäusten sie bedrohn.
Sie sah Barrikaden
und darauf den eigenen Sohn
als Führer der Revolution!
POET:
Herrlich exzentrisch!
BOHEMIEN:
Schön dekadent.
STUDENT & PROFESSOR:
Österreich braucht jetzt ein Parlament!
ALLE:
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
No, und wenn schon –
wir sitzen im Kaffeehaus ‘rum
und erwarten gähnend die Apokalypse.
ERSTE GRUPPE:
Weil uns fad ist, weil’s net schad is...
ZWEITE GRUPPE (gleichzeitig):
Stieren, schnofeln, plauschen,
plaudern, rauchen, pofeln, raunzen, zaudern, lesen, dösen
beim Kaffee!
DRITTE GRUPPE (gleichzeitig):
Weil uns fad is, desolat is...
weil’s net schad is, weil, was g’maht is
und parat is, g’schieht ja eh!
Lichtwechsel und Verwandlung.
11. ELISABETHS SCHLAFZIMMER
Eine Nacht in der Hofburg im Jahre 1865. Franz Joseph steht im Hausmantel vor Elisabeths Schlafzimmertür, klopft, versucht einzutreten. Die Tür ist verschlossen. Im Schlafzimmer sitzt Elisabeth an ihrem Sekretär und schreibt. Sie hört Franz Joseph, macht aber keine Anstalten, ihn einzulassen.
FRANZ JOSEPH:
Elisabeth? Mach auf, mein Engel.
Ich, dein Mann, sehn mich nach dir.
Laß mich nicht warten!
Hinter mir liegt ein Tag voll Problemen.
Frankreich beginnt mir offen zu drohn.
Skandale, die kein Ende nehmen.
Staatsbankrott, Krieg und Revolution.
Eine Selbstmordwelle, neue Typhusfälle.
Hilf mir einzuschlafen
so wie ein Schiff im sicher’n Hafen,
von deiner Zärtlichkeit bewacht
und ohne Wunsch für eine Nacht.
Er kann sich nicht erklären, warum sie ihm nicht öffnet. Er lauscht an der Tür, bevor er einen neuen Versuch macht...
Nun öffne mir, laß mich nicht warten.
Sei die Frau, die mich versteht, Elisabeth!
Elisabeth hat aufgehört zu schreiben. Sie dreht sich auf ihrem Stuhl in Richtung zur Tür um.
ELISABETH:
Warum gehst du nicht zu deiner Mutter?
Sie war dir auch sonst immer lieber...
FRANZ JOSEPH:
Engel!
ELISABETH:
Verschon mich!
FRANZ JOSEPH:
Was hab ich getan?
ELISABETH:
Du läßt zu, daß Rudolf gequält wird.
FRANZ JOSEPH:
Rudolf? Gequält?
ELISABETH:
Ich hab alles erfahr’n. Deine Mutter gab ihn
ihrem Folterschergen.
FRANZ JOSEPH:
Sie läßt ihn erziehn!?
ELISABETH:
Er kann sich nicht wehr’n. Doch ich werd mir das
nicht länger ansehen! Entweder sie oder ich!
Elisabeth steht auf und geht mit dem Schriftstück in der Hand zur Tür.
Ich habe ein förmliches Ultimatum aufgesetzt. Wenn du
mich nicht verlieren willst, erfüll’ es! Ich möchte selbst
über die Erziehung meiner Kinder bestimmen. Und von
nun an will ich entscheiden, was ich tue und lasse. Lies
mein Schreiben und entscheide dich: Für deine Mutter
oder mich! Und jetzt laß mich allein.
Sie öffnet die Tür und hält Franz Joseph das Papier mit ihrem Ultimatum hin. Bevor er eintreten kann, schlägt sie die Tür vor ihm zu. Franz Joseph betrachtet benommen das Schriftstück, wendet sich ab und geht ins Dunkel.
Auf einem Diwan im Schlafzimmer sitzt der Tod. Elisabeth erschrickt, als sie ihn sieht.
TOD:
Elisabeth, sei nicht verzweifelt.
Ruh dich aus in meinem Arm.
Ich will dich trösten.
Flieh, und du wirst frei sein
und alles Kämpfen wird vorbei sein.
Ich führ dich fort aus Raum und Zeit
in eine beß’re Wirklichkeit.
Elisabeth! Elisabeth! Ich liebe dich...
ELISABETH:
Nein! Ich möchte leben.
Ich bin zu jung um aufzugeben.
Ich weiß, ich kann mich selbst befrein.
Jetzt setz ich meine Schönheit ein.
Geh! Ich will dich nicht!
Ich brauch dich nicht! Geh!
Mit einer entschiedenen Geste weist Elisabeth den Tod ab. Dieser weicht zurück und verschwindet im Nichts.
Verwandlung.
12. MARKTPLATZ IN WIEN
Ein früher Herbstmorgen. Zwischen geschlossenen Marktbuden warten Arbeiter, Hausfrauen und Dienstboten auf die Öffnung des Milchladens. Die Tür der Milchausgabe wird endlich geöffnet und eine Hand hängt ein offenbar häufig benutztes Schild an einen Nagel. Sofort schließt sich die Tür wieder. Die Wartenden werden unruhig. Lucheni liest vor, was auf dem Schild steht.
FRAUEN:
Wann gibt’s endlich Milch?
Warum wird uns nicht aufgemacht?
LUCHENI:
Heute keine Lieferung!
MÄNNER:
Wieder umsonst.
Die Kanne leer, wie so oft.
Umsonst gefrorn und gehofft, die halbe Nacht.
MENGE:
Jemand belügt uns.
Jemand betrügt uns.
Jemand hält uns für dumm.
Wir müssen hungern,
andere lungern
in den Palästen rum...
Schluß!
Lucheni hetzt die Menge auf.
LUCHENI:
Wollt ihr wissen, wer die Milch euch nimmt?
MENGE:
Sag wer?
LUCHENI:
Die ganze Milch ist nur für sie bestimmt!
MENGE:
Für wen?
LUCHENI:
Für eure Kaiserin! Sie braucht sie für...
MENGE:
Für was?
LUCHENI:
... ihr Bad!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
FRAUEN:
Was für ein Skandal!
LUCHENI:
Ein Skandal!
FRAUEN:
Das hätt’ ich nie von ihr geglaubt!
LUCHENI:
Das hättet ihr nie von ihr geglaubt!
MÄNNER:
Kinder sterben, weil’s keine Milch gibt für sie...
LUCHENI:
Keine Milch für die Kinder!
MÄNNER:
... während sie badet darin...
LUCHENI:
Sie badet darin!
MÄNNER:
... und uns beraubt!
MENGE:
Was nützt das Klagen,
man muß verjagen,
die uns ins Unglück führ’n!
LUCHENI:
Verjagt, die euch ins Unglück führ’n!
MENGE:
Weg mit den Drohnen,
die uns nicht schonen –
Laßt sie die Volkswut spür’n!
LUCHENI:
Laß sie die Volkswut spür’n!
MENGE:
Schluß!
LUCHENI:
Wollt ihr hören, was die Kaiserin quält?
MENGE:
Sag, was?
LUCHENI:
Wenn sie in ihrem Kamm die Haare zählt,...
MENGE:
Wie das?
LUCHENI:
... weint sie vor Kummer,
denn sie trauert um...
MENGE:
Um was?
LUCHENI:
... ihr Haar!
MENGE:
Was?
LUCHENI:
Ja!
MENGE (erste Gruppe):
Zeit, sich zu wehren!
LUCHENI:
Höchste Zeit!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Nie mehr arm und reich!
MENGE (erste Gruppe):
Wir woll’n sie lehren...
LUCHENI:
Wir woll’n sie lehren!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Hört das Signal...
MENGE (erste Gruppe):
... daß man uns nicht verlacht.
LUCHENI:
Laßt euch nicht mehr verhöhnen!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... zur letzten Schlacht!
MENGE (erste Gruppe):
Brot für die Armen!
LUCHENI:
Kämpft um eure Menschenwürde!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
Jeder ist gleich und wer nicht arbeiten will...
MENGE (erste Gruppe):
Recht statt Erbarmen!
LUCHENI:
Krieg in den Palästen!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... der hat kein Recht über uns...
MENGE (erste Gruppe):
Nieder mit jeder Macht!
LUCHENI:
Freiheit für das Volk!
MENGE (zweite Gruppe; gleichzeitig):
... und keine Macht!
MENGE & LUCHENI:
Brüder seid bereit,
es ist soweit!
Schluß mit dem Leid! Sagt ja!
Die neue Zeit ist da!
Lichtwechsel. Verwandlung.
13. ELISABETHS ANKLEIDEZIMMER
Spiegel, Frisiertisch, offene Kleiderschränke. Im Hintergrund ein großer Paravant, hinter dem Elisabeth badet und Toilette macht. Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein gibt der Friseuse und den Kammerzofen Anweisungen. Zwei der Zofen tragen Milchkannen hinter den Paravant. Eine weitere Zofe bereitet die Badetücher vor, die Friseuse mischt vor einer Anrichte das Shampoo für die bevorstehende Haarwäsche der Kaiserin.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Die Kaiserin ist schon im Bad.
Senkt euren Blick, wenn ihr euch naht!
Und gießt behutsam und gemach
heiße Milch nach und nach in die Wanne.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein klatscht in die Hände.
Sind ihre Tücher parfümiert?
ERSTE ZOFE (präsentiert die Badetücher):
Un dgekreppt!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Ist das Shampoo schon angerührt?
FRISEUSE (präsentiert das Shampoo):
Nach Rezept: Zuerst den Cognac,
dann das Ei – auf jedes Glas jeweils drei...
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
So verlangt sie es!
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
Auch die Erzherzogin findet das sehr vernünftig...
Zofen und Friseuse eilen zwischen Paravant und den Beistelltischen etc. hin und her.
Das Erdbeermus ist für die Haut –
ZWEITE ZOFE:
Ich fang schon an, sie zu massier’n.
DRITTE ZOFE:
Hier für den Teint das Sauerkraut.
FRISEUSE:
Ich muß die Brauen retouschier’n.
ERSTE ZOFE:
Hier kommt das Kalbfleisch fürs Gesicht.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Leg es in dicker Schicht auf die Wange.
Das Rosenwasser – wunderbar!
FRISEUSE:
Sechs Stunden muß ich sie frisier’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Das macht die Augen hell und klar.
ZWEITE ZOFE:
Sie läßt sich täglich manikür’n.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Der Fleischsaft, sei sie mittags trinkt,
muß bitte unbedingt vom Filet sein.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN; FRISEUSE & ZOFEN:
Unsre Kais’rin soll sich wiegen,
kämmen, pflegen und erfrischen,
statt sich in die Staatsintrigen einzumischen.
Alle sehen zu einer vom Publikum nicht einsehbaren Tür, durch die Franz Joseph überraschend das Ankleidezimmer betritt.
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Der Kaiser!
ERSTE ZOFE:
Was?
ZWEITE ZOFE:
Der Kaiser?
DRITTE ZOFE:
Hier – in den Gemächern der Kaiserin?
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN &
ERSTE UND ZWEITE ZOFE:
Um diese Zeit?
DIE ÜBRIGEN ZOFEN:
Seltsam, noch nie kam der Kaiser um diese Zeit!
Alle verbeugen sich.
FRANZ JOSEPH:
Wo ist die Kaiserin? Ich muß sie sprechen!
GRÄFIN ESTERHÁZY-LIECHTENSTEIN:
Sie hat ihre Toilette noch nicht beendet, Majestät.
Aber sie können mit ihr sprechen. Sie
befindet sich hinter dem Paravant. Sie kann Sie hören.
Die Gräfin Esterházy-Liechtenstein Gibt den Zofen ein Zeichen, sich zu entfernen. Zofen, Friseuse und Gräfin ab.
FRANZ JOSEPH:
Ich will dir nur sagen,
ich geh auf dein Schreiben ein.
Ich kann nicht ertragen,
von dir nicht geliebt zu sein.
Was immer du willst, ich geb’ es dir,
bevor ich dich verlier.
Und willst du bestimmen,
wer Rudolf zum Mann erzieht,
dann soll es mir recht sein,
denn ich bin des Streitens müd.
Und was du auch sonst verlangst von mir,
gehört von nun dir.
Ich herrsche und lenke,
bezwing das Gefühl.
Gefühl ist verboten für mich.
Doch wenn ich an dich denke,
schweigt jedes Kalkül.
Ich werde mir untreu für dich!
Man sieht Elisabeth in einem der Spiegel. Ihr Bild gleicht einem berühmten Gemälde von Franz Xaver Winterhalter aus dem Jahre 1864. Sie tritt aus dem Rahmen des Spiegels heraus... die schönste Frau der Welt!
ELISABETH:
Soll ich dich verstehen,
will ich auch verstanden sein.
Ich will mit dir gehen,
doch sperr mich nicht länger ein.
Du mußt mir nichts geben,
nur laß mir mein Leben!
Denn ich gehör nur mir.
Elisabeth streckt Franz Joseph die Hand entgegen, doch als er auf sie zugehen will, läßt sie die Hand mit einer abweisenden Bewegung sinken und wendet sich ihrem Spiegelbild zu.
Ich gehör nur mir!
Blackout.
ENDE DES ERSTEN AKTES
ZWEITER AKT
1. VOR DER KATHEDRALE IN BUDA
Orgelklang. Lucheni erscheint überraschend von hinten im Zuschauerraum. Er hat sich einen Bauchladen umgehängt und agiert las Andenkenverkäufer. Durch einen Gang des Theaters geht er zur Bühne vor, wobei er zum Publikum singt.
LUCHENI:
Kommen Sie näher, meine Damen und Herren!
Während da drin in der Kathedrale an diesem
denkwürdigen 8. Juni 1867 der Kaiser von Österreich und die
überirdisch schöne Elisabeth König und Königin von Ungarn
werden.. haben Sie die einmalige Gelegenheit, ein wertvolles
Erinnerungsstück zu erwerben. Alles sehr billig! Bitte, treten
Sie näher!
Rhythmuswechsel.
Wie wär’s mit diesem Bild:
Elisabeth als Mutter mit Rudolf ihrem Sohn –
Und hier: Ist das nicht nett?
Die Kaisers feiern Weihnacht im festlichen Salon.
Auf diesem Glas sehen wir
das Hohe Paar in Liebe zugeneigt.
Einen Teller hab’ ich auch,
der Elisabeth beim Beten in der Hofkapelle zeigt.
Nehmt ein hübsches Souvenir mit
aus der kaiserlichen Welt!
Alles innig, lieb und sinnig, so wie es euch gefällt:
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Verzeiht nicht das Gesicht! Tut bloß nicht so,
als wärt ihr an der Wahrheit interessiert.
Die Wahrheit gibt’s geschenkt, aber keiner will sie haben,
weil sie doch nur deprimiert. Elisabeth ist „in",
man spricht von ihr seit über hundert Jahr’n.
Doch wie sie wirklich war,
das werdet ihr aus keinem Buch
und keinem Film erfahr’n –
Schon gar nicht von mir!
Was ließ ihr die Vergötzung? Was ließ ihr noch der Neid?
Was blieb von ihrem Leben als Bodenschatz der Zeit?
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Ich will euch was verraten:
Eure Sisi war in Wirklichkeit ein mieser Egoist.
Sie kämpfte um den Sohn, um Sophie zu beweisen,
daß sie die Stärk’re ist. Doch dann schob sie ihn ab.
Ihr kam’s ja darauf an, sich zu befrei’n.
Sie lebte von der Monarchie und richtete sich in der
Schweiz ein Nummernkonto ein.
Aber was red ich!
Man hört nur, was man hör’n will,
Drum bleibt nach etwas Zeit
von Schönheit und von Scheiße,
von Traum und Wirklichkeit nur Kitsch.
Kitsch! Kitsch! Kitsch!
Mit einer Geste läßt Lucheni den Vorhang aufgehen. Als riesige Kitschpostkarte sehen wir ungarisches Volk auf dem sonnenüberfluteten Platz vor der Kathedrale., in der am 8. Juni 1867 Franz Joseph und Elisabeth die ungarische Königswürde erhalten.
EIN UNGARISCHES MÄDCHEN:
Die Kirchentür geht auf!
EIN JUNGER UNGAR:
Die Messe ist vorbei!
EINE BÜRGERSFRAU:
Sie kommen!
Einer beginnt zu singen, die Menge stimmt rasch mit ein.
EIN JUNGER UNGAR:
Ungarns Elend ist zu Ende –
Éljen, Éljen, Erzsébet!
MÄNNER:
Sie bezwang die Widerstände –
Éljen. Éljen, Erzsébet!
MENGE:
Ungarns Elend ist zu Ende –
Éljen, Éljen, Erzsébet!
Fort mit allem, was uns trennte:
Éljen, Éljen, Erzsébet!
Lucheni kommentiert die Begeisterung als kritischer Beobachter.
LUCHENI:
Ungarn, Elisabeth hat euch befreit!
Sie zog eure Karte aus dem Kartenhaus der Welt.
Dem Nationalismus gehört die neue Zeit.
Er wird dafür sorgen, daß das Kaiserreich zerfällt!
MENGE:
Sie wird Ungarns Wunden heilen...
LUCHENI:
Anarchie und Völkerchaos!
MENGE:
... Éljen, Éljen, Erzsébet!
LUCHENI:
Österreich zerfällt!
MENGE:
Ungarns aufstieg, Habsburg
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